Eine Flucht aus Tegel

Ein Kaufhausbrand in Brüssel, vermutlich durch ein Gasleck ausgelöst, forderte im Mai 1967 über 300 Menschenleben. Die linksradikale Szene reagierte voll Häme mit Flugblättern wie: „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“

Für einen Brandanschlag gegen „deutsche Konsumtempel“ wählten die Extremisten Andreas Baader und Gudrun Ensslin sich ein knappes Jahr später zwei Kaufhäuser in Frankfurt aus. Ein anonymer Anruf bei der Deutschen Presse-Agentur kündigte den „politischen Akt“ an; um Mitternacht zündeten drei Brandsätze. Durch das Feuer und die dadurch ausgelöste Sprinkleranlage entstand ein Sachschaden von fast 700.000 Mark.

Bereits in den folgenden Tagen konnten die Brandstifter verhaftet werden, im Oktober wurde ihnen in Frankfurt der Prozess gemacht, den die Angeklagten für ihre Propaganda nutzten, indem sie den Richter verhöhnten und sich gut gelaunt mit Zigarre ablichten ließen.

Einer der damaligen Strafverteidiger war Otto Schily, späterer Mitbegründer der Grünen und nach seinem Wechsel zur SPD Innenminister unter Kanzler Gerhard Schröder.

Nach seiner Verurteilung trat Baader die Haftstrafe nicht an, sondern tauchte in Berlin unter, wo die Polizei ihn am 4. April 1970 festnahm und in die JVA Tegel brachte. Die Gefängnisleitung wurde von einem Mithäftling über einen geplanten Fluchtversuch informiert. Fatalerweise ließ der Direktor jedoch den Falschen überwachen – nämlich einen Paul Bader, der in Tegel eine Strafe wegen Mordes verbüßte.

Die Journalistin Ulrike Meinhof gab vor, sie würde an einem Sachbuch mit Baader arbeiten, wofür der Besuch des Zentralinstituts für soziale Fragen erforderlich sei. Am 14. Mai 1970 begleiteten zwei JVA-Beamte Andreas Baader beim Besuch der Bibliothek in Dahlem. Meinhof wartete bereits im Lesesaal. Nach einer Stunde tauchte Gudrun Ensslin mit drei Komplizen auf. Es kam zu einer Schießerei, bei der ein Institutsangestellter lebensgefährlich verletzt wurde. So konnte Baader entkommen. Meinhof, die eigentlich bleiben und hinterher die Unschuldige spielen sollte, entschied sich spontan, ihm durchs Fenster zu folgen.

Nach seiner Flucht unterzog sich Baader in Jordanien einem Waffen- und Sprengstoff-Training der palästinensischen Al-Fatah-Organisation. In den kommenden Jahren wurde die Bundesrepublik durch Anschläge auf Polizeistationen und US-Militärstützpunkte in Atem gehalten. Baader und zwei weitere Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ wurden im Juni 1972 nach einem zweistündigen Schusswechsel verhaftet.

Aus Sicherheitsgründen verlegte man beim Stammheimprozess in Stuttgart die Verhandlung in eine fensterlose Halle. Neben Baader wurden noch drei weitere RAF-Mitglieder, darunter Ensslin und Meinhof, wegen vierfachen Mordes und Mordversuchs in 54 Fällen angeklagt.

Während sich Meinhof bereits im Mai 1976 in ihrer Zelle erhängte, wurde Baader im April 1977 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Um die inhaftierten Terroristen freizupressen, entführte die RAF den Präsidenten der Arbeitgeberverbände, Hanns Martin Schleyer. Der Druck auf die Regierung , die sich auf den Austausch nicht einlassen wollte, wurde am 13. Oktober 1977 durch die Entführung des Passagierflugzeugs „Landshut“ erhöht. Drei Tage später konnten die Geiseln aus der Maschine befreit werden.

Noch in derselben Nacht richtete sich Andreas Baader mit einer von einem Anwalt ins Gefängnis geschmuggelten Waffe. Daraufhin wurde Schleyer von seinen Entführern erschossen. Erst 1998 erklärte die RAF ihre Auflösung.

Boris Dammer

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.