Corona in Berlin: „Covid wird für immer bleiben“

Reinickendorf – Seit fünfeinhalb Jahren ist Patrick Larscheid Amtsarzt des Bezirks Reinickendorf. Seit mehr als eineinhalb Jahren beschäftigt ihn die Covid-Pandemie. Er hält eine offene Kommunikation für wichtig und äußert sich viel in Zeitungen, bei Radio- und Fernsehsendern. Er geht Konflikten nicht aus dem Weg, ist nur manchmal erschrocken über Anfeindungen gegen sich und seine Familie in den sozialen Medien. Von einer „Krise“ im Zusammenhang mit der Infektionskrankheit möchte er nicht sprechen, nur von „Herausforderungen“.

Die Infektionszahlen sind so hoch wie noch nie, die Inzidenz steigt und die Krankenhäuser müssen immer mehr Covid-Kranke behandeln. Wo führt das hin?

Es wird sicherlich noch eine ganze Weile schlimmer werden. Hohe Zahlen produzieren zunächst einmal weitere hohe Zahlen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit der im vergangenen Winter, weil die Gruppe der jetzt Erkrankten eine ganz andere ist. Die vierte Welle wird getragen von Ungeimpften. Die Impfdurchbrüche bei geimpften Patienten, die wir auch sehen, spielen zahlenmäßig eine weniger große Rolle. Etwa ein Viertel der Fälle in Krankenhäusern sind Impfdurchbrüche.

Müssen wir uns dauerhaft auf Covid 19 als Erkrankung einrichten?

Ja, der Erreger ist da. Er wird auch nicht wieder spurlos verschwinden. Covid wird bleiben – immer.

Warum sind die Zahlen in Reinickendorf meist höher als die Durchschnittszahlen von Berlin?

Wir in Reinickendorf „leiden“ ein bisschen darunter, dass wir immer noch sehr konsequent bei Covidfällen die nähere Umgebung untersuchen und so viele Fälle aufdecken. Das katapultiert uns in der Statistik nach oben. Es ist hier nicht mehr los als woanders. Vielleicht schauen wir nur genauer hin. Täten wir das nicht, würden wir in der berlinweiten Inzidenz sehr viel besser liegen – heißt aber übersetzt, wir würden mehr übersehen. Und das wollen wir nicht.

Ist ihr Team ausreichend groß genug, um alle Aufgaben zu erfüllen?

Wir haben in der vergangenen und der laufenden Woche noch einmal um zehn Mitarbeiter aufgestockt. Wir versuchen alles, weil wir glauben, dass es nötig ist, weiter mit Hochdruck zu arbeiten. Aber es muss eine breite Diskussion geben, wie wir in Zukunft verfahren wollen. Wir können in dieser Intensität nicht immer weiterarbeiten. Es muss auch mal nach dem Nutzen gefragt werden. Nicht alle Aufgaben, die wir jetzt übernommen haben, müssen im Gesundheitsamt angesiedelt sein.

Was passiert im Augenblick im Impfzentrum Tegel?

Es ist zu spüren, dass die Nachfrage nach Auffrischungsimpfungen deutlich steigt. Es ist dort auch neues Personal eingestellt worden. Unser Wunsch ist es, dass auch die anderen Impfzentren wieder eröffnen, da wir wissen, dass die Auffrischungsimpfungen große Kapazitäten erfordern.

Kommt der nächste Lockdown?

Ich glaube nicht, dass es einen neuen Lockdown geben wird, sondern man wird davor scheuen und stattdessen auf eine andere Strategie setzen. Die Strategie wird sein: Wie verkaufen wir notwendige Maßnahmen, dass die Menschen diese eigenverantwortlich einhalten?

Nach der Wahl am 26. September haben wir bisher weder eine neue Bundesregierung, noch einen neuen Senat und auch der Bezirksbürgermeister ist noch nicht gewählt. Fällt die Politik im Augenblick im Kampf gegen die Pandemie aus?

Nein, sie fällt nicht aus. Wir haben ja amtierende Regierungen. In Reinickendorf haben wir den Gesundheitsstadtrat Uwe Brockhausen, mit dem wir sehr gut durch die Pandemie gekommen sind. Er wird höchstwahrscheinlich unser neuer Bürgermeister werden, worüber ich mich für den ganzen Bezirk freue. Im Augenblick nimmt er seine Aufgabe als Stadtrat für Gesundheit weiterhin sehr verantwortungsvoll wahr.

Wie werden wir die Weihnachtszeit erleben?

Leider haben sich schon viele Politiker sehr weit vorgewagt. Unser Noch-Bürgermeister Michael Müller hat gesagt: Weihnachten ist sicher! Also, sicher ist, dass Weihnachten so um den 24. Dezember sein wird. Dass Weihnachten darüber hinaus „sicher“ sein wird, sehe ich noch nicht. Weihnachten könnte ein guter Anlass sein, die Besuchspolitik auch innerhalb der eigenen Familie kritisch zu überdenken.

Danke für das Gespräch.

Interview Bertram Schwarz

Tipp:

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Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.