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Clemens Bley (l.) vom katholischen Gemeindezentrum Maria Gnaden im Gespräch mit Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid (Foto: bs)

Der Umgang mit dem einsamen Tod

Hermsdorf – Wer Patrick Larscheid kennt, weiß, dass es unterhaltsam wird. Auch wenn es um den Tod geht. Genau genommen, um den „Umgang mit dem einsamen Tod“. So steht es in der Einladung zum Hermsdorfer Kirchengespräch im katholischen Gemeindezentrum Maria Gnaden. Kaum einer hat so viel mit dem Tod zu tun wie der Reinickendorfer Amtsarzt Larscheid.

Er ist auch für ganz Berlin „Leiter des Zentralarchivs für Leichenschauscheine“. Insgesamt verwaltet er 250.000 solcher Scheine. Jedes Jahr kommen 40.000 hinzu. Er selbst habe bisher ungefähr 15.000 Leichenschauen vorgenommen. Viele davon seien einsam gestorben. Ohne Frage ein Spezialist für das Thema. Seinen Humor verliert er deswegen nicht.

Eine Geschichte geht so. Ein Kloster in Italien bewahrt seit Jahrhunderten im gut durchlüfteten Keller Leichen auf. Sie dürfen besichtigt werden. Aber es gilt ein strenges Fotografierverbot. Larscheid: „Deswegen konnte ich nur wenige Fotos machen.“ Im Parforce-Ritt geht er durch die Menschheitsgeschichte über den ritualisierten Tod. Er beginnt mit der Höhle von Skhul in Israel, wo schon vor 100.000 Jahren Menschen bestattet wurden. Den Ägyptern mit ihren Pyramiden räumt er die „höchste Form der Ritualisierung“ ein. Auch wenn die Mumifizierung nicht immer erfolgreich gewesen sei. Denn die Verwesung unter ägyptischer Sonne gehe noch „ruckzucker“.
Zunächst haben die Menschen nur erdbestattet. Erst spät kamen Krematorien auf. In Berlin war das Ende des 19. Jahrhunderts. Heute werden in Berlin 95 Prozent der Toten verbrannt. Mehr als in jeder anderen Region Deutschlands.

Nun aber zum „einsamen Tod“. Er zeigt Fotos von Toten. Nach dem friedlichen Bild von der alten Dame im Bett mit Plastikblume und Stofftier im Arm empfiehlt er Zartbesaiteten die Augen zu schließen. Leichen mit Stich- und Schnittverletzungen folgen, ein Mann ist aus großer Höhe gesprungen. Besonders gruselig ist die erst spät aufgefundene, „fäulnisveränderte Leiche“ mit Insektenfraß und einem schwarzen Schwarm von Fliegenmaden um den Mund. Larscheid ist Realist: „Der Tod ist nicht schön.“
Ein Bild von einer schwungvollen Marmorurne mit lateinischem Spruch kommentiert er ungerührt: „Das ist Kitsch, rosarote Sauce läuft da raus.“ Er selbst stellt die Frage: Wie wird richtig gestorben? Häufig sei niemand dabei. Das betreffe auch Krankenhäuser und Pflegeheime. Für Larscheid sei der einsame Tod aber einer, der „unbemerkt bleibt“. Als Amtsarzt wird er hinzugezogen, wenn „Messis“ allein in völlig vermüllten Wohnungen sterben. Er zeigt unvorstellbare Fotos von menschlichen Behausungen. Er sagt: „Der einsame Tod folgt manchmal dem sozialen Tod, muss aber nicht.“ Häufig sei die Kombination aus Kinderlosigkeit und einem hohen Alter der Grund eines Endes ohne Anteilnahme. Wenn kein Verwandter sich melde, werde das Gesundheitsamt aktiv.

Dann komme es zur „ordnungsbehördlichen Bestattung“. In Reinickendorf werden so pro Jahr mehr als 200 Tote vom Staat unter die Erde gebracht, in ganz Berlin sind es deutlich mehr als 2.000. Die Zahlen seien über die Jahre stabil und würden nicht steigen, sagt Larscheid. Eine solche Beerdigung koste die öffentliche Hand 865 Euro mit Kühlhaus, Krematorium, Beisetzung ohne Trauernde. Larscheid fragt rhetorisch: „865 Euro, ist das der Wert eines Menschen?“ Nein, ethisch seien alle Menschen gleich viel wert. Egal, „ob sie im Edelhofdamm gelebt haben oder als stinkende Crack­süchtige in Neukölln unter der Brücke gestorben sind“. Ihn habe es verfolgt, dass niemand um die einsam Gestorbenen trauere.

Vor etlichen Jahren fragte er beim Berliner Senat nach, ob man nicht eine zentrale Feier für einsam Gestorbene ausrichten könne. Noch heute empört ihn die seitenlange Erwiderung von damals, warum das alles nicht ginge. Mit Pastor Andreas Hertel hat er es dann in Reinickendorf einfach gemacht. Immer am dritten Sonntag im Januar wird dieser Toten in der evangelischen Kirche in Hermsdorf gedacht. In diesem Jahr fand die Feier zum fünften Mal statt. Sie ist Vorbild für ähnliche Gottesdienste in anderen Bezirken.

Auf die Frage, ob der oder die geplante Einsamkeitsbeauftragte in Reinickendorf das Problem mit den allein Sterbenden lindern könne, kehrt der Schalk bei Larscheid zurück. Diese Stelle würde nichts helfen, sagt Larscheid, da würden ohnehin „nur Leute hingehen, die auch ansonsten gesellig sind.“

bs

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.