Vier Menschen sitzen unter einem roten Zelt-Pavillon, vor ihnen ein Protest-Plakat.
Manfred Moslehner, genannt Manne (Foto r.) mit Mitstreitern. Foto: fle

Galgenfrist für „Manne“ Moslehner

Verdrängung durch Modernisierung in der Siedlung am Steinberg geht in nächste Runde

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, danach ist es wieder ernst. Nach Lachen ist dem 84-Jährigen wahrlich nicht zumute. Denn am 22. April hatte das Amtsgericht Wedding die Kündigung seines Mietvertrags für rechtmäßig erklärt. Manfred Moslehner, genannt Manne, muss also sein Haus verlassen, in dem er seit seiner Geburt am 2. Oktober 1939 lebt. Doch Menschen solidarisieren sich mit ihm – und haben nun in kürzester Zeit das Geld für eine Kaution gesammelt, die ihm Zeit verschafft.

Seit die denkmalgeschützte Siedlung vom Land Berlin als Teil der GSW 2010 an die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH“ verkauft wurde, weht ein ungemütlicher Wind durch die Straßen. Als „Stonehill Gardens“ sollten die Häuser in den Straßen Kehrwieder, Am Brunnen, An der Heide und Am Rosensteg nach einer umfassenden Modernisierung verkauft werden – für mehr als 1 Million Euro pro Haus (wir berichteten). Einige Mieter der insgesamt 62 Wohneinheiten sind bereits ausgezogen, andere mittlerweile verstorben. Doch die restlichen Mieter wollen nicht weichen – und widersetzen sich vehement der Verdrängung durch Modernisierung. Und sie haben Unterstützung von Bürgern und aus der Politik. So auch Manne. Er weiß, dass er sich die Miete nach der Sanierung nicht mehr leisten kann. Seit 1978 zahlt er monatlich knapp 400 Euro. Ein komplett saniertes Haus in der Siedlung kann man für 4.000 Euro mieten. „Ziehe ich einmal aus, werde ich nie wieder zurückkehren können“, weiß er. Auch aus diesem Grund kämpft er seit Jahren. 

Am 22. April waren viele Menschen schon früh auf den Beinen und versammelten sich vor dem Amtsgericht: Das Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumung hatte zur Kundgebung vor der Urteilsverkündung aufgerufen. „Hier wird sich zeigen, ob ein Mensch im 85. Lebensjahr stehend, das Recht zugesprochen bekommt, seine letzten Lebensjahre zu Hause verbringen zu dürfen oder wie Müll auf die Straße geworfen wird“, heißt es in der Pressemitteilung. „Einen so alten Menschen in seinen letzten Lebensjahren zu drangsalieren, ist mehr als unanständig und sollte eine große Solidarität nach sich ziehen, denn Manne könnte von jedem der Opa sein“, schreibt Nicole Lindner vom Bündnis.

Hans-Hartmut Lenz, der in der Straße Kehrwieder 1 lebt und gemeinsam mit Nachbarn in einer Bürgerinitiative um den Erhalt des eigenen Zuhauses kämpft, erinnert sich an den Prozess: „Der kleine Gerichtssaal war gar nicht für so viele Menschen ausgelegt, rund 50 Stühle wurden nachträglich hineingetragen“. Die Richterin sei sehr nett gewesen. „Sie wollte bis zum 13. Mai alle Schriftsätze noch einmal genau anschauen. Schließlich könne sie mit dem Urteil ein Leben zerstören, hat sie gesagt. Umso merkwürdiger war dann, dass die Urteilsverkündung ganz plötzlich kam – und umso schrecklicher, dass sie so negativ ausfiel.“ 

Im Prozess um die Zwangsräumung hat das Gericht entschieden, dass Moslehner aus seinem Haus ausziehen muss – und eine Räumungsfrist von drei Monaten festgesetzt. Danach sei das Urteil vorläufig vollstreckbar, es sei denn, er hinterlege eine Kaution von 4.300 Euro als Sicherheitsleistung, bis der Fall durch alle Instanzen gegangen ist. Die Kaution war schnell zusammengekommen – von einer Spenderinitiative: „Wir vom Verein Sanktionsfrei und auch alle bisherigen 679 Spenderinnen und Spender fordern von der Politik, dass sie die Menschen davor schützen, den gierigen Kapitalinteressen von Multimillionären ausgeliefert zu sein, so wie Herr Moslehner und die anderen Menschen am Steinberg es derzeit sind“, erklärt Vereinsgründerin und Vorsitzende Helena Steinhaus. „Das ist kein Naturgesetz. Das sind Folgen stadtpolitischer Fehlentscheidungen und Versäumnisse. Der Räumungsschutz muss gestärkt werden!“ Von einer Räumungsklage betroffen zu sein, sei eine extreme Stresssituation. „Für jemanden, der sein ganzes Leben in einem Haus verbracht hat und der schon so alt ist, ist das eine untragbare Situation.“

Moslehner ist sehr gerührt von so viel Unterstützung. „Ich lasse mich nicht unterkriegen“, sagt er. Regelmäßig demonstriert er unter einem roten Zeltdach weiterhin mit seinen Nachbarn gegen die Vertreibung. „Was bleibt uns auch anderes übrig als weiter durchzuhalten?“, sagt er. „Gebe ich auf, verliere ich alles.“

Spenden für Manfred Moslehner: IBAN:DE 53430609671181458700
Betreff: Soli Manne

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.