„Die Gefahr ist noch lange nicht vorüber“

Bezirk – Nach den drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus werden nun auch im Fuchsbezirk die Vorschriften gelockert. Das sehen viele als Zeichen dafür, dass die Corona-Krise und die Infektionsgefahr vorüber sind. Doch das Gegenteil sei der Fall, ist sich Patrick Larscheid, Amtsarzt und Leiter des Gesundheitsamtes, sicher: „Ich erlebe gerade einen Mentalitätswandel in der Bevölkerung und einen sehr schädlichen Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern. Dabei sind wir keinen Schritt weiter als zu Beginn der Pandemie.“

Zwar sei die Lage in Reinickendorf zur Zeit entspannt, da es wenig Neuinfektionen gäbe. „Die Reinickendorfer haben sich vorbildlich in der Corona-Krise verhalten, und nun bekommen sie die positive Quittung – nämlich in Form der niedrigen Neuinfizierten-Zahlen. Und nun muss jeder einzelne verstehen, dass es genauso weitergehen sollte, um das Virus irgendwann wirklich im Griff zu haben.“

Bisher gab es in Rei­nickendorf rund 480 Covid-19-Fälle. „Davon sind über 400 Menschen genesen“, freut sich Gesundheitsstadtrat Uwe Brockhausen. Die meisten Patienten mit schweren Verläufen sind im Humboldt-Klinikum versorgt worden. „Wir haben gerade mit der Kassenärztlichen Vereinigung für Reinickendorf ein Modellprojekt auf den Weg gebracht“, sagt Brockhausen. „Mit ‚Covid-Care‘ wollen wir die hausärztliche Betreuung von Menschen, die unter Quarantäne stehen, verbessern.“

Der Stadtrat ist einerseits beeindruckt von der Disziplin der Reinickendorfer, andererseits nimmt er auch wahr, dass insbesondere jüngere Menschen sich nicht so sehr an die Regeln halten. Er befürchtet: Sollten die Abstandsregelungen und Kontaktbeschränkungen mehr und mehr ignoriert werden, ist mit einer zweiten Infektionswelle zu rechnen. Das wäre fatal – schließlich gibt es derzeit weder einen Impfstoff noch medizinische Bluttests, mit denen festgestellt werden kann, ob ein Mensch bereits an Corona erkrankt war. „Hier fehlen diesbezüglich ordentlich validierte Tests, auch wenn das Gegenteil immer wieder die Runde macht“, sagt Larscheid. „Die Tests verschiedenster Anbieter bieten noch nicht die Zuverlässigkeit, die wir bräuchten.“ Somit sei der Abstand nach wie vor das Nonplus­ultra. Denn sollten die Infektionszahlen erneut ansteigen, wäre das eine gefährliche Situation für alle: „Rückwärts geht es dann nicht noch einmal“, ist sich der Amtsarzt sicher. „Einen weiteren Shutdown kann man der Bevölkerung nicht klarmachen – die Akzeptanz wäre um ein Vielfaches geringer.“

Das sieht auch der Gesundheitsstadtrat so: „Es geht ja auch um die Wirtschaft – die Menschen haben existentielle Ängste. Es geht um Arbeitsplätze und um ganze Unternehmen.“ So wäre wichtig, weiterhin den Ernst der Lage zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten. „Ich würde mir wünschen, wenn die Menschen die Situation weiterhin sehr ernst nehmen und sich noch ein paar weitere Wochen an die Abstands-, Kontakt- und Hygieneregeln halten“, sagt Brockhausen. Dann könne man weiter lockern, aber immer mit Augenmaß.

Larscheid macht den Menschen keine Hoffnung, dass Covid-19 einfach so wieder verschwindet. „Im Gegenteil – mit dem Erreger werden wir dauerhaft zu tun haben. Es ist nur die Frage, wie sich der Virus entwickeln wird.“ Gut sei, dass er nicht sehr ansteckend ist. „Aber dass der Virus wieder verschwindet, ist nicht mehr realistisch. Dafür sind zu viele Menschen auf der Welt längst infiziert, und dafür zirkuliert er einfach zu wirkungsvoll. Es könnte gut sein, dass er sich verändert wie andere Erreger – dass er einerseits viel ansteckender wird, aber harmloser. Dann gibt es möglicherweise nur noch ein Halskratzen, und das war’s. Warten wir es ab“, fügt er abschließend hinzu.

fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.