Menschen bei einer Demo
Impfgegner auf der einen Seite der Straße ... Foto: fle

Die zwei Seiten einer Demonstration

Tegel – Zwei Straßenseiten, zwei Meinungen, zwei unterschiedliche Gründe, warum man hier ist. Und dazwischen viel Polizei. Es war Montagabend, 31. Januar, 18 Uhr. Und es war laut und voll auf dem Platz rund um den Brunnen in Alt-Tegel. Hier versammelten sich, wie auch in den Wochen zuvor, verschiedene Menschen zu einer Demonstration von „Tegel steht auf“. Sie demonstrieren seit nunmehr fünf Wochen auf der Berliner Straße in Tegel gegen die Corona-Maßnahmen und für eine freie Impfentscheidung.

Mit Herzluftballons an der Hand und Lichterketten um den Hals schien es wie eine Versammlung zu Weihnachten oder dem Valentinstag. Doch die Demo hatte weder etwas mit dem Fest noch dem Tag der Liebe zu tun. Die Plakate und Schilder machten deutlich, um was es den Teilnehmern der Demo ging: „Leben statt Lockdown“ war da zu lesen oder „Menschenversuche“. Auf anderen Schildern stand: „Wie viele Impftote wollt Ihr noch – Impfschäden offenlegen!“. Außerdem hielt jemand das Schild mit der Aufschrift „Mein Körper, meine Entscheidung!!! Impfnötigung stoppen!“ in die Höhe. Auf der anderen Seite der Berliner Straße hatte sich ein Bündnis von verschiedenen Menschen, Initiativen, Vereinen und demokratischen Parteien als Gegenmaßnahme der Demonstration versammelt. Allen voran die „Omas gegen Rechts“, die sich aktiv für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und sich breit vor Leiser positionierten.

„Wir haben uns hier versammelt, um ein Zeichen dagegen zu setzen“, sagte ein Bürger. „Denn wir glauben, dass es gefährlich ist, sich gegen die Corona-Maßnahmen auszusprechen, aber vor allem sind wir deshalb da, weil die Demonstration eindeutig von rechtsgerichteten Gruppierungen organisiert wird, obwohl sie das leugnen“, sagt er. Dafür sprächen die immer gleichen, oft perfekten Plakate, das Schüren von Ängsten sowie die Verächtlichmachung demokratischer Institutionen. „Und wir befürchten, dass das ein Teil einer großen rechten Bewegung wird“, fügt er hinzu. Genau aus diesem Grund seien die ‚Omas gegen Rechts‘ auch die zentralen Initiatorinnen.

Dann geht die Demo los: Lautes Glockenläuten um kurz nach sechs – und dann plötzlich eine tiefe durchdringende Stimme aus dem Lautsprecher: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten“ – diese Worte stellen Teile des Freiheitsgelöbnisses dar und zieren die Berliner Freiheitsglocke im Rathaus Schöneberg, die nach Beendigung der Blockade Berlins und der daraufhin organisierten Luftbrücke seitdem für ein freies Europa steht.

Talkin‘ about a Revolution?

Im Anschluss daran setzte sich der Zug in Bewegung in Richtung Borsighallen. Nach Angaben der Polizei-Pressestelle sind es rund 1.000 Demonstranten, darunter auch Kinder. Ganz vorn am Demonstrationszug ein Plakat mit der Aufschrift „Tegel steht auf! Der Größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die sich fügt und alles mitmacht! Im Hintergrund lief laute musikalische Untermalung, unter anderem „Stand up for your Right“ von Bob Marley, „Talkin‘ about a Revolution“ von Tracy Chapman und „Bella Ciao“ von El Profesor.

Doch wer ist denn eigentlich „Tegel steht auf“? Im Internet auf der Seite www.tegelstehtauf.de ist zu lesen, dass sie für ihre „Grundrechte, Freiheit, Zusammenhalt, freie Impfentscheidung“ aufstehen. Zudem der Hinweis, dass man den Telegram-Kanal abonnieren kann, um auf dem Laufenden zu bleiben. Ein Tegeler Anwohner der Gegendemonstration erklärt über Lautsprecher, dass es sich keinesfalls um eine neutrale Organisation handelt, die diese regelmäßigen Demonstrationen durchführt. „Im Gegenteil – ‚Tegel steht auf‘ ist Teil von ‚Berlin steht auf‘. Und ‚Berlin steht auf‘ ist Teil von ‚die freien Berliner‘. Diese Gruppierung orientiert sich am Vorbild der ‚freien Sachsen‘, einer rechtsextremen Kleinstpartei mit Verbindung zur Höcke-AfD und zum rechtsextremen Compact-Magazin“, sagt er. Es gäbe aber auch Kontakte zu „Menschen stehen auf“ – und somit zu den Querdenkern”, sagt er und fügt hinzu: „Wir sind solidarisch mit den Angehörigen der bis zum heutigen Tag über 4.000 Toten in Berlin, der 117.000 Toten in Deutschland und den Angehörigen der über fünf Millionen Toten weltweit, die im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben sind.“

Andere Gegendemonstranten wurden in ihren Aussagen ebenso deutlich: „Wir müssen gegen den Schwachsinn, der da drüben verbreitet wird, etwas sagen, und wir müssen Präsenz zeigen“, erklärte der SPD-Bezirksverordnete Gerald Walk. „Ich stehe aber nicht nur für die SPD Reinickendorf hier, sondern auch als Person, als Vater, Großvater und alles, was ich bin. Und wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von einigen wenigen so instrumentalisiert wird und so sehr mit Angst zugepackt wird, dass wir das Zusammenleben nicht mehr normal gestalten können.“

Die „Omas gegen Rechts“ brachten es auf den Punkt: „Genauso, wie es selbstverständlich ist, dass auch Ungeimpfte im Falle einer Erkrankung von der Solidargemeinschaft behandelt werden, kann umgekehrt die Solidargemeinschaft erwarten, dass jeder sich durch seine Impfung an der Bekämpfung der Pandemie beteiligt. Jeder hat Rechte, aber jeder hat auch ebenso Pflichten.“

Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Uwe Brockhausen, der an diesem Montag als Privatperson hergekommen ist, sagte: „Ich finde es wichtig, dass wir hier vor Ort präsent sind und unser Demonstrationsrecht wahrzunehmen. „Wir setzen hier ein Zeichen gegen solche geirrlichterten Demonstranten. Sie nehmen für sich Grundrechte in Anspruch, glauben, in ihrer Freiheit verletzt zu werden. Doch die Wahrheit ist genau umgekehrt“, sagte er.

fle

… und Gegner der Impfgegner auf der anderen Seite. Foto: fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.