Statt Abflug ein Ausflug

Tegel – Abschiedstränen und Wiedersehensfreude, Reisefieber und Flugangst, nervöse Erwartung und Reiselust – der Flughafen Tegel „Otto Lilienthal“ war für Jahrzehnte ein Ort der großen und kleinen Emotionen. Er war beliebt aufgrund der kurzen Wege. Mit dem Auto konnte man fast bis zum Schalter vorfahren, um Fluggäste abzuholen oder wegzubringen. Aber er war auch verhasst – nicht nur bei Anwohnern in der Einflugschneise, sondern auch bei Reisenden, die moderne Airports in Singapur, Kuala Lumpur oder Amsterdam mit ihm verglichen. Dann nannten sie ihn unmodern und veraltet und zu voll und viel zu klein für die dreifache Menge an Touristen, für die er eigentlich geplant war. Dennoch: TXL funktionierte – und wurde auch mit einem Mehrfachen an Touristen fertig als ursprünglich vorgesehen. Allein 2019 wurden 24 Millionen Passagiere gezählt. Im Durchschnitt startete alle zwei Minuten ein Flieger.

Am Wochenende des 7. und 8. November nahmen zahlreiche TXL-Fans Abschied von „ihrem Flughafen“. Sie fuhren mit Traditionsbussen zum TXL und posierten für Fotos vor dem Tower und liefen noch einmal durch das bis zuletzt genutzte sechseckige Gebäude, das am 23. Oktober 1974 eingeweiht und am 1. November 1974 eröffnet wurde. Auch Trophäenjäger waren schon aktiv – einige Schilder und Lampen waren bereits abgeschraubt und demontiert, noch bevor der letzte Flieger abhob.

Viele der Besucher konnten es immer noch nicht so recht glauben, dass „ihr“ Flughafen nun wirklich schließt. Denn nach ihrem Wunsch hätte dies nicht passieren dürfen. Schließlich entschieden sich die Berliner beim Volksbegehren „Berlin braucht Tegel“, das der Verein Pro Tegel e.V. gemeinsam mit der FDP-Berlin am 12. Dezember 2015 gestartet hat, für eine Zukunft des TXL. „Danke Tegel und danke auch an Euch für über eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid für die Offenhaltung von TXL“, schreibt die FDP Berlin auf Instagram. „Leider ignoriert der rot-rot-grüne Senat die Entscheidung der Stadt und macht aus unserem Tegel ein Denkmal der demokratischen Ignoranz“, heißt es weiter. So sehen es auch einige Flughafenfans, die nun Abschied nehmen. „Wie sollen Kinder und Jugendliche Vertrauen in die Politik gewinnen, wenn die Wünsche, Stimmen, Unterschriften und Entscheidungen der Bürger ignoriert werden?“ fragt die Heiligenseerin Christa Held. „Mit der Entscheidung, Tegel zu schließen, wurde die Demokratie mit Füßen getreten.“

Jetzt ist es leer auf den Wegen des ehemaligen Flughafens, wo vor einigen Wochen noch – wenn auch eingeschränkt – Betrieb herrschte. Dafür kommen die Ausflügler und schießen ihre Handyfotos zur Erinnerung an den alten TXL.

fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.