Heimat von Libelle, Feldlerche & Co. in Gefahr?

Tegel – Nach der Schließung des Flughafens wird das große Areal eine andere Nutzung erfahren. Wo vorher Menschen in den Urlaub geflogen sind, sollen nun Männer und Frauen, Alte und Junge wohnen, arbeiten und studieren können. Doch was bedeuten diese drastischen Veränderungen für das Gebiet des Flughafensees und des dazugehörigen Vogelschutzreservates? Die RAZ sprach mit Frank Sieste, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Vogelschutzreservat des NABU Berlin, über Chancen und Gefahren.

Der Flughafen Tegel schließt tatsächlich. Was bedeutet dieser Schritt für das Vogelschutzreservat Flughafensee?

Bisher hat das Vogelschutzreservat im Schatten von TXL seinen festen Platz. Mit der Schließung von Tegel stehen für uns einige Fragezeichen im Raum. Derzeit ist das Vogelschutzreservat ja nur Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes Flughafensee/Jungfernheide. Die Ausweisung hin zum Naturschutzgebiet würde den Status des Geländes erheblich festigen. Mit der Schließung von Tegel und der massiven geplanten Wohnbebauung erwarten wir erhebliche Besucherströme aus dieser Richtung. Daher muss vorher genau festgelegt werden, wo das Schutzgebiet ist und wo die öffentlichen Räume liegen. Wenn das Gelände erstmal für die Öffentlichkeit offen ist, dann ist eine Planung und Lenkung nur schwerlich möglich.

Was ist das Besondere an den Gebieten?

Die Gebiete in der Tegeler Stadtheide befinden sich im nördlichen und westlichen Bereich des jetzigen Flughafens. Diese Bereiche sind ökologisch besonders wertvoll, da sich dort Heide- und Trockenrasenbereiche befinden. Hier ist auch eine Verknüpfung mit dem jetzigen Vogelschutzreservat geplant. Die Besonderheit des Vogelschutzreservates besteht in der Vielzahl an Biotopen auf engstem Raum. Das erklärt auch die hohe Zahl an über 50 Brutvogelarten. Aber auch Libellen, Schmetterlinge und Käfer kommen in großer Anzahl vor. Die Flächen beinhalten auch den größten Berliner Feldlerchenbestand – zusammen mit dem Tempelhofer Feld. Es wurden fast 90 Reviere dieser stark bedrohten Vogelart nachgewiesen.

Ist es auch für das Gesamtklima Berlins – vor allem auch in Hinblick auf den Klimawandel – von hoher Wichtigkeit, diese Naturflächen zu erhalten?

Die Landschaft dort ist wegen ihrer Weitläufigkeit ein Kaltluft-Enstehungsgebiet und somit erfüllt diese Fläche eine stadtklimatisch wichtige Funktion zur Abkühlung der Innenstadt insbesondere in den heißen Sommermonaten. Ebenso wichtig ist diese Fläche für die Entstehung von Grundwasser. Da dort kaum Bäume wachsen, kann das Regenwasser versickern und den Grundwasserbestand auffüllen – im Hinblick auf den Ausbau des Wasserwerkes Tegel ein nicht unerheblicher Aspekt.

Es gibt jetzt eine Petition des NABU. Aber ist es nicht bereits in den Plänen für die Nachnutzung verankert, dass diese Grünflächen bleiben?

Der derzeitige Plan sieht selbstverständlich immer noch eine sogenannte Dreiteilung des Gebietes vor: im Bereich des jetzigen Towers Gewerbe, im östlichen Bereich des Geländes Richtung Kurt-Schumacher-Quartier Wohnungsbebauung. Für diese Bebauung müssten auf der Fläche von TXL Ersatzlebensräume für rund 40 Reviere der Feldlerche geschaffen werden. Etwa so viel sollen nach derzeitigem Stand der Planung überbaut werden. Das sehen wir zwar kritisch – ebenso wie die wohl sehr dichte Bebauung. Allerdings richtet sich die Petition nicht vordergründig darum. Im Fokus der Öffentlichkeit geht es fast ausschließlich um die Entwicklung von TXL als Wirtschafts- und Wohnungsstandort. Wir wollen verstärkt den Fokus auf die Flächen lenken, welche für den Naturschutz und der Naherholung vorgesehen sind und diese nachhaltig sichern. Deren Wichtigkeit kann gar nicht oft genug betont werden. Berlin hat eine besondere Verantwortung für den dortigen Bestand der Feldlerchen. Daher hat eine Veränderung der Flächen immer auch zur Folge, dass Ersatzlebensräume im nahen Umfeld geschaffen werden müssen. Doch Berlin hat diese Flächen nicht mehr zur Verfügung. Daher sind Probleme vorprogrammiert. Mit einer sanften Entwicklung dieser Flächen könnte dem vorgebeugt werden.

Was möchte der NABU mit der Petition erreichen?

Er möchte genau auf die Gefahren aufmerksam machen, welchen den vorgesehen Naturschutzflächen drohen. Da sich die Planungen derzeit überschlagen – nach dem Motto „höher, dichter, mehr“ – denken wir, dass es an der Zeit ist, auch den Naturschutz zu stärken. Der NABU hat eine Beschleunigung der Naturschutzgebiets-Ausweisung bei einem Gespräch in der Senatsverwaltung gefordert. Der Staatssekretär Stefan Tidow hat aber alle Hoffnungen gedämpft. Wie es heißt, ist dort kein Personal vorhanden, welches eine zügige NSG Ausweisung voranbringen kann. Laut seiner Auskunft hat er 1,5 Planstellen für ganz Berlin zur Verfügung. Wir finden das deutlich zu wenig. Aber es zeigt auch auf, wie gering der Stellenwert des Naturschutzes in dieser Stadt ist. Mit der Petition wollen wir den Druck auf die Senatorin Regina Günther erhöhen. Die Petition soll voraussichtlich bis Ende des Jahres laufen. Am Ende sollen die Unterschriften direkt an Frau Günther übergeben werden. Derzeit haben die Petition 2069 Leute Unterschrieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview Christiane Flechtner

Ganz schön schnuckelig, die Heidschnucken. Foto: Christiane Flechtner

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.