Testen statt tanzen im Kastanienwäldchen

Reinickendorf – Seit dem ersten Lockdown am 13. März 2020 schwingt niemand mehr das Tanzbein im Kastanienwäldchen. Die Event-Gaststätte im Resi-Kiez kämpft seit über einem Jahr ums Überleben. Frontmann vom Franz-Neumann-Platz ist Norbert Raeder. Gastwirt und der Kümmerer im Kiez: Er kümmert sich um seine Belegschaft, um die Anwohner rund um die Resi – ob jung oder alt. Obwohl – gerade die Senioren liegen Raeder am Herzen und die Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben und von der Hand in den Mund leben.

Die Existenzängste sind seit der Pandemie bedrückend. Aber Norbert Raeder gibt nicht auf, er hat immer wieder eine neue Idee. Was hat er nicht alles angestellt, um Corona und den Maßnahmen die Stirn zu bieten? Im vergangenen Sommer hat er eine Küche einbauen lassen, um Gäste draußen bewirten zu können und dabei Kämpfe mit dem Bezirksamt ausgestanden. Eine Softeismaschine und ein neuer Kaffeeautomat wurden angeschafft – für den Verzehr „to go“. Im Winter gab es Glühwein und Bratwürste. „Wir müssten Tausende von Bratwürsten verkaufen, damit sich die Sache rentiert“, resümiert Raeder.

Und nun? Jetzt hat Raeder eine Teststation in der Musikkneipe eingerichtet. An der Residenzstraße findet der Fensterverkauf von Softeis und Kaffee statt, hier stehen die Kunden diszipliniert Schlange. Hinten auf dem Hof stehen die Testwilligen mit Abstand an, um einen kostenlosen Coronatest machen zu lassen. Raeders Personal hat umgesattelt: Wer vormals gekellnert hat, am Regler oder hinterm Mikrofon stand, hilft jetzt beim Testen tatkräftig mit. Chef und Belegschaft ziehen an einem Strang, um das Kastanienwäldchen am Leben zu erhalten und um den Menschen im Kiez zu helfen.

„Gerade die älteren Menschen freuen sich über die Möglichkeit, einfach zu uns zu kommen und ohne große Terminplanung einen Test zu machen. Wenn sie negativ getestet sind, dann stellt sich bei ihnen eine riesige Erleichterung ein. Diesen Effekt habe ich total unterschätzt, die Menschen sind so froh, wenn sie negativ getestet sind“.

Nach 15-minütiger Wartezeit erhält man sein Ergebnis – und ein Zertifikat. „Damit können die Leute dann in den Geschäften einkaufen gehen.“ Was passiert bei einem positiven Ergebnis? „Am 15. April haben wir mit dem Testen begonnen. Da waren gleich vier Personen positiv, die ganze Familie. Wir haben alle einen Riesenschrecken bekommen, nochmals getestet und dann das Gesundheitsamt informiert.“

Mittlerweile werden im Schnitt pro Tag rund 100 Personen im Kastanienwäldchen getestet. Die Gaststätte ist eine vom Berliner Senat zertifizierte Test-to-go Teststelle in Reinickendorf. Über www.coronateststation-residenzstrasse.de können online Termine gebucht werden.

„Aber älteren Personen, die über keinen Internetzugang verfügen, helfen wir ganz unkompliziert – ohne Termin – direkt vor Ort. Und unser Test-Zugangsbereich ist ebenfalls für Rollstuhlfahrer geeignet, und für persönliche Hilfestellungen stehen wir gleich am Eingang bereit“, sagt Raeder.

Wohnungslose werden hier natürlich auch getestet, sie bekommen neben ihrem Test auch belegte Brötchen, die in kleine Cellophantütchen verpackt sind. „Die stammen aus einer Schule in der Umgebung, wir freuen uns über die Spende.“

Freuen würde sich Raeder auch, wenn er die vorausgelegten Kosten von 50.000 Euro der Tests erstattet bekäme. Sämtlich noch vorhandene Ersparnisse hat er eingebracht. Entsprechende Anträge laufen …

ajö

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.