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Pfarrerin Christina Ostrick vor der Wandmalerei
Pfarrerin Christina Ostrick vor der Wandmalerei, die bei Renovierungsarbeiten freigelegt wurde, Foto: bs

„Oasenmomente“ in der Kirche

Christina Ostrick ist seit 13 Jahren Gefängnisseelsorgerin in der JVA Tegel

Tegel – Im vergangenen Jahr beging die Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel ihren 125. Geburtstag. Auch die Gefängniskirche wurde zu diesem Anlass renoviert. Bei den umfangreichen Arbeiten kam rechts des Altars eine alte Wandmalerei unter vielen Farbschichten zum Vorschein. Die freigelegte Fläche umfasst etwa zwei Quadratmeter. Die Firma Wibbke Denkmalpflege GmbH hat ein kleines Schild daneben angebracht. Es sagt, dass es sich um eine „neugotische Vorhangmalerei aus dem Jahre 1903 mit darüber befindlichem Schriftband“ handele. Der Schriftzug lautet: „Ich erlöse“. Rechts darüber ist ein weiterer Spruch: „wen Jesus befreit, der ist wirklich frei“. Was mögen wohl die Inhaftierten darüber denken?

Die evangelische Pfarrerin Christina Ostrick ist seit 13 Jahren auf dieser Stelle im Gefängnis und gibt zu: „Zuerst dachte ich, dass sei eine Zumutung, aber es ist die Realität“. In Tegel sitzen etwa 800 Männer ein. Zu ungefähr 10 Prozent von ihnen habe sie als Seelsorgerin engen Kontakt. Das seien in akuten Krisen schon mal jeden Tag stundenlange Gespräche. Sie habe beobachtet, dass sich Inhaftierte frei fühlten, wenn sie in der Kirche seien. Jeden Sonntag lädt sie von 10.15 bis 11.15 Uhr zu einem evangelischen Gottesdienst ein. Die Kirche wird auch von der katholischen Gemeinde genutzt. Sie bietet am Sonntag von 14.10 Uhr bis 15.10 Uhr einen Gottesdienst an. 

Ostrick ist stolz auf ihre Kirche, die im neugotischen Stil mit ihren beiden mächtigen Türmen das Gefängnisareal dominiert. Im Kirchensaal ist viel Holz verbaut. Sie führt in die Reihen der Kirchenbänke und weist auf Markierungen im Boden hin, die in regelmäßigen Abständen zu sehen sind. Auf alten Fotos ist zu erkennen, dass früher zwischen den einzelnen Sitzen halbhohe Wände waren, die den Kontakt zwischen den Inhaftierten unterbinden sollten. Heute gibt es diese nicht mehr. Etwa 25 Besucher kommen am Sonntag zu ihrem Gottesdienst. Darunter seien auch Moslems und Juden, die Zuspruch suchten. 

Eine genaue Erfassung, wie viele Christen und wie viele Inhaftierte sich zu anderen Religionen bekennen, gebe es nicht. In den Eingangspapieren werde an einer Stellte gefragt, ob sie „religiös geprägt“ seien. Diese Frage müsse nicht beantwortet werden und werde sie meist auch nicht. Sie habe die Beobachtung gemacht, dass Moslems sie zuweilen beantworteten und mutmaßt, dass das auch an ihren Essensgewohnheiten liegen könne.

Ihre Kirche sorge für viele, die sich ihr anvertrauen für einen „Oasenmoment“. Sie möchte die Arbeit der Kirche und damit ihre eigene nicht überschätzen, meint aber, dass sie helfen könne „durch mein Dasein und Zuhören.“ Sie sei so etwas wie ein „Blitzableiter“ und unterliege einer strengen Schweigepflicht.

Die Entdeckung der alten Wandmalerei mit den vielen Kreuzen und den floralen Mustern halte sie für einen „Glücksfall“. Es wurden noch weitere Wandornamente unter den Schichten der Zeit vermutet, aber nur diese relativ kleine Fläche konnte freigelegt und restauriert werden. Eine helle Farbe deckt die anderen Wände. Als die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres auf den Fund aufmerksam machte, fand das ein recht breites Echo in der Presse. Ostrick weist jedoch auch gern auf die „Dinse-Orgel“ hin, die ihres Wissens von 1910 sei. 

Auf die Frage, ob sie als Pfarrerin auch mal in bedrohliche Situationen geraten sei, zuckt sie nur mit den Schultern und sagt nichts weiter dazu. Sie kennt den rauen Gefängnisalltag.

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.