RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Doppelbildnis Max Beckmann und Minna Tube-Beckmann. Foto: wikipedia

Von der Kunstmalerin zur Operndiva

Die erstaunliche Karriere der Minna Tube, die 19 Jahre mit Max Beckmann verheiratet war

„Die Ölfarben hatte ich mir von einer Tante statt des üblichen goldenen Kreuzchens oder Herzens zur Konfirmation gewünscht“, verriet Minna Tube über ihren Entschluss, Malerin zu werden, den sie schon im Alter von elf Jahren gefasst hatte.

Am 5. Juni 1881 erblickte Minna Frieda Helene Tube in Metz das Licht der Welt – als jüngstes von fünf Kindern, mit drei Schwestern und einem Bruder. Durch die Stellung des Vaters als Militäroberpfarrer der lutherischen Kirche zog die Familie häufig um. Doch bereits im Alter von acht Jahren verlor sie den Vater, worauf sich die Mutter mit den Kindern im thüringischen Altenburg niederließ.

Als junge Frau besuchte Minna eine Freundin in Weimar, die an der dortigen Kunsthochschule Malerei studieren wollte. Deren Familie bot ihr an, sie für die Studienzeit zu beherbergen. Als die begeisterte Minna zu Hause von dem verlockenden Angebot erzählte, verweigerte die Mutter jedoch kategorisch ihre Einwilligung. Erst dem wohlwollenden Onkel gelang es, seine gestrenge Schwester zu überzeugen. Theo, Mitbegründer eines Sanatoriums für Tuberkulosekranke in Schlesien, sicherte zu, für die Kosten aufzukommen. Als berufliche Laufbahn erschien den meisten Familien die Malerei für eine Frau als wenig schicklich, obwohl weibliche künstlerische Begabung durchaus geschätzt wurde, solange sie nur als Zerstreuung oder zur musikalischen Unterhaltung von Gästen diente. Minna hatte jedoch beschlossen, die Sache ernsthaft anzugehen.

An die erste Nacht in Weimar vor der Ausbildung an der renommierten Kunsthochschule erinnerte sie sich so zurück: „Es ist mir zweimal im Leben passiert, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte vor Freude und vor innerem Jubel immer wieder vor mich hin dichten musste.“ Die zweite Nacht, in der die Aufregung sie wachhielt, spielte sich ebenfalls in der Goethe-Stadt ab: Die Ursache dafür war der erste Kuss von ihrem Kommilitonen Max Beckmann. Beide zählten zu den besten in ihrer Klasse und hatten große Ehrfurcht vor der Malerei. Max warb lange um die Angebetete, die von dem eigenwilligen, drei Jahre jüngeren Studenten durchaus fasziniert war, aber sich nicht so schnell auf eine Beziehung einlassen wollte.

Schon vor der Heirat wurde ihre Rolle in der Ehe thematisiert, was für Max bedeutete, sie müsse den Pinsel ein für allemal aus der Hand legen. Der Beckmann-Biograf Stephan Reimertz, der der Beziehung des Paares sogar ein eigenes Buch „Eine Liebe im Porträt“ widmete, bringt es trocken auf den Punkt: „Er hatte nichts dagegen, dass eine Frau malte – solange sie nicht mit ihm verheiratet war.“

Auch die schwierige finanzielle Situation ließ Minna zögern. Doch der Tod seiner Mutter ermöglichte Max ein sorgenfreies Leben und so gelang es ihm zuletzt doch noch, seine „liebste Minne“ zum Ja-Wort zu überreden. Noch acht Tage vor der Hochzeit grübelte sie darüber, dass ihre Ehe „wahrscheinlich schiefgehen würde, denn es verlangte doch einen gewissen Mut, einen zweiundzwanzigjährigen Mann zu heiraten. Aber an Mut hat es mir noch nie gefehlt.“

Innerlich hat Minna wohl recht früh klein beigegeben, was die Verteidigung ihres Berufswunsches anging, nicht zuletzt durch ihren großen Respekt für das offenkundige Talent ihres Zukünftigen: „Er hatte mir sehr viel zu zeigen, während ich, auch von Lehrern befreit, in meinem kleinen Atelier irgendwo in der Nähe der Pariser Straße nicht gerade überwältigende Meisterwerke vorzuzeigen hatte.“

Das Paar schloss 1906 in Schöneberg den Bund der Ehe. Ihre Flitterwochen führten sie nach Paris, wo die Beckmanns mit ihrem Sinn fürs Makabere ein Restaurant besuchten, in dem statt an Tischen an Särgen gespeist wurde. Die beiden ließen sich anschließend in Hermsdorf nieder. Den Entwurf des neuen Hauses hatte Minna mitgestaltet – ganz im Stil des Neuen Bauens, der sich unter anderem durch deutlich schlichtere Formen und große Glasflächen auszeichnete. Sogar für das Design einiger Möbel war die kreative Hausherrin selbst verantwortlich. In Hermsdorf kam Peter, ihr einziges Kind, zur Welt.

Was die Malerei anging, forderte Max von seiner Frau, ihr Talent „mit in seine Arbeiten hineinzulegen“. Wozu sie trocken anmerkte: „Das bestand meist darin, daß ich seine jeweilige Malerei schön fand. Wenn ich nur sagte: na ja es ist gut – war er verstimmt.“

Im Gegenzug für ihren Verzicht widmete Max ihr seine Werke, indem er sie mit dem Kürzel HBSL signierte: „Herr Beckmann seiner Liebsten“.

Bei einem von ihrer Mutter veranstalteten Hauskonzert wurde Minna von dem Pianist ermuntert, der ihren Gesang begleitete: „Sie können so, wie Sie singen in jedem Konzert Erfolg haben.“ Die talentierte Frau, der die Malerei verwehrt blieb, beschloss, darin einen Wink des Schicksals zu sehen, und nahm Gesangsstunden.

„Konzerte gab es nicht mehr.“

Schon in den ersten Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs verlor Minna ihren Bruder, der im Oktober 1914 fiel. „Es war eine furchtbare Zeit“, denn ständig gab es weitere Verluste im Freundes- und Bekanntenkreis zu beklagen. Max verewigte seinen Schwager auf einem Bild, das in der Zeitschrift „Kriegszeit“ erschien. Ebenso hat der Maler seine über den Tod ihres Sohnes trauernde Schwiegermutter in einer Radierung porträtiert, vor der er großen Respekt hatte.  

„Konzerte gab es nicht mehr, nur noch eine Art von Wohltätigkeitskonzerten, und jedesmal, wenn ich sang, bekam ich vorher die Nachricht von einem besonders schmerzlichen Todesfall.“

Max meldete sich als Sanitätshelfer an die Front, erlitt allerdings schon im Jahr darauf einen Nervenzusammenbruch. Er quittierte den Militärdienst und ließ sich in Frankfurt nieder, während Minna in Elberfeld unter dem dort geborenen Dirigenten Hans Knappertsbusch einen großen Sprung in ihrer Laufbahn als Sängerin machte. Der hatte bereits in Bayreuth mit Siegfried Wagner, einem Sohn Richard Wagners, und dem Dirigenten Hans Richter zusammengearbeitet, der der Komponisten-Legende seinerzeit eng verbunden war. Knappertsbusch beabsichtigte nun am Stadttheater Elberfeld „Tannhäuser“ aufzuführen und Minna für die Partie der Venus zu engagieren.

Der Kontakt von Minna und Max bestand seit seiner Rückkehr von der Front nur noch aus gelegentlichen Besuchen und regelmäßigem Briefverkehr: „Ich freue mich, daß Du jetzt viel Gelegenheit hast Deine schöne Stimme hören zu lassen und Dich dadurch selbst noch mehr zu fühlen, denn darauf läuft doch schließlich die ganze Kunst hinaus.“

Am Stadttheater in Chemnitz, wo sie ab 1917 engagiert war, gehörte die Leonore in Beethovens „Fidelio“ zu ihren Glanzrollen. Als gegen Ende des Krieges die Lebensmittel immer knapper wurden, sorgte sich Max um Minnas Gesundheit und fürchtete, „daß Du Dir die Schwindsucht an den Hals singst“. Er riet ihr in einem Brief, doch lieber zum Sprechtheater zu wechseln, weil das körperlich weniger anstrengend sei, und schlug auch schon ein paar passende Dramatiker vor. Minna blieb jedoch der Oper treu.  

Das Opernhaus zu Graz, der Landeshauptstadt der Steiermark. Hier feierte Minna ihre größten Erfolge als Sängerin. Foto: C.Stadler/Bwag

In Graz erlebte sie die Anfangsjahre von Karl Böhm mit, der zu einem der bedeutendsten Dirigenten Österreichs werden sollte, nachdem er sich sein Metier als Autodidakt eroberte. Ihn porträtierte Minna einmal in einer Seitenansicht mit Taktstock. Ihr männlicher Gesangspartner war häufig der Tenor Alois Hadwiger, der von Cosima Wagner entdeckt worden war und in Bayreuth schon den Parsifal gegeben hatte. Die Richard-Wagner-Gesellschaft lobte später ausdrücklich auch ihr darstellerisches Talent und gestand Minna ein „inneres Wissen um das künstlerisch Wahre, das unvergessen bleiben wird“ zu. Besonders berührend muss auch ihre Interpretation der Marschallin im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss gewesen sein.

Trotz der getrennten Haushalte war es für Minna ein Schock, als Max 1925 unvermittelt die Scheidung forderte, um die deutlich jüngere Mathilde von Kaulbach zu heiraten, die unter ihrem Spitznamen „Quappi“ als Lebensgefährtin des großen Malers in die Geschichte eingehen sollte.

Emotional tief erschüttert, bedeutete diese Trennung für Minna das abrupte Ende ihrer Gesangskarriere. Immerhin hat sie der Nachwelt einige Bilder hinterlassen, die womöglich an der Seite ihres rigorosen Ehemanns nie zustande gekommen wären – darunter Porträts ihres Sohnes Peter.

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebte sie in Hermsdorf, bevor sie vor den näher rückenden russischen Truppen Zuflucht im oberbayerischen Landreis Starnberg suchte, wo sie bis zu ihrem Tod im Alter von 81 am 30. Juli 1964 blieb.

Die letzten Jahrzehnte widmete sie dem Andenken ihres geschiedenen Mannes, den sie zuletzt Ende der Dreißiger Jahre gesehen hatte, und gründete gemeinsam mit ihrem Sohn, zahlreichen Freunden und Kunstkennern die „Max Beckmann Gesellschaft“. Peters Tochter, die noch ihre Großmutter kennenlernen durfte, sagte in einem Zeitungsinterview über das Verhältnis der beiden Ehefrauen von Max: „Beide haben das Andenken hochgehalten. Das war ja das Tolle, dass Minna, Quappi und Peter Beckmann immer an einem Strick gezogen haben.“

Die Kunstkritikerin und Beckmann-Kennerin Doris Schmidt hat Minna auf einer Ausstellung seiner Bilder beobachtet: „Sie stützte sich fest auf ihren Stock und richtete sich mit einem fast harten: ‚und so arrogant!‘ vor dem letzten Selbstporträt auf. Gleich darauf sagte sie leise etwas sehr Liebevolles, fast wie um Verzeihung bittend.“

Die Nachkommen

Peter Beckmann wurde am 31. August 1908 in Hermsdorf bei Berlin in der Ringstraße 8 geboren, die heute die Nummer 17 trägt. Der Mediziner promovierte in Berlin und beschäftigte sich insbesondere mit der Altersforschung.

Nach Besuchen bei seinem Vater im Amsterdamer Exil Anfang der Vierziger Jahre schmuggelte er einige von dessen Bildern zum Verkauf nach Deutschland. An der Grenze gab er sie als seine eigenen aus, denn immerhin stimmte die Signatur „Beckmann“ mit seinem Namen im Pass überein. Nach seiner Heirat 1946 bekam das Paar zwei Jahre später eine Tochter. 

Im oberbayerischen Ohlstadt leitete Peter eine eigene Kurklinik. Max Beckmann hatte seinen Sohn dort zuweilen besucht und Teile der Landschaft auf Leinwand festgehalten. 1989 erhielt Peter die Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Er starb am 25. Februar 1990 in München. Seine Tochter Mayen Beckmann, die Kunstgeschichte studierte und als Restauratorin und Galeristin arbeitet, ist die Erbin des Nachlasses ihres Großvaters Max und seiner ersten Frau Minna. Mayen Beckmann äußerte sich in einem Interview mit der SZ über ihre berühmten Vorfahren: „Die Großmutter stand mir sehr nah, Max Beckmann dagegen war ein bisschen Denkmal.“

Beckmanns Tod in Amerika

Nachdem 21 seiner Werke Teil der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden, ließ sich Beckmann 1937 in Amsterdam nieder. Seine Versuche, in die USA zu emigrieren, scheiterten zunächst. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ihm 1947 die Einreise genehmigt. Dort unterrichtete er an einer Universität in St. Louis. Zwei Jahre später lehrte er an der Kunstschule des Brooklyn Museums. Er starb 1950 auf dem Weg in den Central Park. Seine Asche stand 30 Jahre lang bis zum Tod seiner zweiten Frau in einer Urne in ihrem New Yorker Wohnzimmer. Auch sie ließ sich einäschern und ihre Asche mit der ihres Mannes vermischen und im Atlantik verstreuen.

Boris Dammer