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Eine Frau ist auf einem erdigen Acker in die Hocke gegangen.
Heike Zorn auf ihrem Acker. Foto: fle

„Das bedroht unsere Existenz“

Wildschweine zerstören die Felder der Landwirtsfamilie Zorn in Heiligensee

Der Himmel ist grau, es nieselt und ist nasskalt, nur ein paar Grad über Null. Die Wolken hängen tief und drücken dem Tag eine düstere Stimmung auf. Genauso eisig und düster ist die Stimmung auf dem Hof der Landwirtsfamilie Zorn in Heiligensee. Große Rotten von Wildschweinen haben einige ihrer Felder so dermaßen stark durchpflügt, dass sie komplett zerstört sind. 

Heike Zorn blickt über die vollkommen aufgewühlten Flächen, die aus nichts mehr bestehen als Löchern und aufgehäufter Erde. 50 Hektar ist die Fläche groß, die die Familie vom Bezirksamt gepachtet hat – und davon sind nun zehn bis zwölf Hektar zerstört. „Sie sehen ja selbst, dass die Grasnarbe kaputt ist. Da wächst nichts mehr“, sagt sie. „Und mit unseren Gerätschaften können wir diese zerfurchten Flächen auch gar nicht mehr befahren.“

Ein Betrieb mit langer Tradition

Der Landwirtschaftsbetrieb Zorn hat eine lange Tradition: Schon der Großvater hatte einen Gemüseanbaubetrieb in Spandau, Vater Jochen Zorn übernahm nach seiner Landwirtschaftsausbildung gemeinsam mit seinem Bruder den Betrieb des Vaters, aber kümmerte sich schon bald nach der Heirat mit Waltraud Zickerick um den Zickerickschen Betrieb, einen Molkereibetrieb in Borsigwalde mit 50 Milchkühen und 200 Mastschweinen.

Der Betrieb bezog die Felder in Heiligensee – und anfangs waren es Kartoffeln und Mais, später Getreide, die Jochen Zorn auf den Heiligenseer Feldern anbaute. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre erfolgte auf einem Teil der Heiligenseer Felder eine Mutterkuhhaltung der Rasse Limousin. Diese existiert noch heute. Hinzu kommt die in den 1970er Jahren begonnene Pensionshaltung von Reitpferden.

Bedrohung für Landwirtschaft und Anwohner

Dass die Heiligenseer hinter den Zorns stehen, konnte die Familie in den 80er Jahren erfahren. Als es darum ging, die Heiligenseer Felder zu bebauen, gingen die Anwohner auf die Straße und demonstrierten – mit Erfolg. Die Felder und die freie Sicht blieben.

Die Anzahl der Wildschwein-Rotten nimmt überhand. Foto: fle

„Wir lieben und leben Landwirtschaft – und das über viele Generationen – doch nun bedrohen die Wildschweinrotten unsere Existenz“, sagt Heike Zorn. Um die 67 Rinder, zu denen in Kürze nochmal 26 Kälbchen hinzukommen werden, und die Pferde zu versorgen, brauchen sie eben das Grün von den Feldern – und das ist nun zu einem großen Teil zerstört.

Auch Anwohner sind besorgt: „Von den Heiligenseern wird besonders das Nordfeld als Erholungsort ‚vor der Haustür‘ genutzt“, schreibt eine RAZ-Leserin in einem Leserbrief. „Leider übernehmen in letzter Zeit vermehrt die Wildschweine das Regime, zerstören die Wiesen, auf denen die Tiere weiden sollen, und stellen eine Bedrohung für Hunde und Menschen, insbesondere auch kleine Kinder, dar. Sie wohnen dort in großer Zahl, ich selbst habe schon Rotten mit 30-40 Tieren beobachtet und mich unwohl gefühlt, ihnen zu begegnen.“

Jagderfolge und steigende Wildschwein-Population

Familie Zorn fühlte sich lange mit ihren Problemen alleingelassen. Doch mittlerweile tut sich etwas: „Im vergangenen Jagdjahr wurden über 100 Wildschweine geschossen“, erklärt Berlins Wildtierbeauftragter Derk Ehlert. „In den Siedlungsbereichen wurden 30 Tiere von den Stadtjägern erlegt, in den letzten 14 Tagen sieben.“

In den vergangenen zehn bis 15 Jahren habe es deutlich weniger Wildschweine gegeben, doch ihre Zahl sei in den letzten drei Jahren deutlich gestiegen. „Das liegt an den starken Mastjahren der Eichen, die viele Eicheln produziert haben durch mehr Regen“, sagt Ehlert. Normalerweise gäbe es alle neun bis elf Jahre ein Mastjahr – doch nun gab es das drei Jahre hintereinander – ein Festschmaus für Wildschweine.

Der Klimawandel als Ursache?

Zwar sei die Regenmenge nach den Dürrejahren wichtig gewesen. Doch Regen allein sei noch kein Zeichen, dass alles wieder normal wird. „Zu viele Eicheln bedeuten nicht etwa, dass sich die Situation normalisiert, sondern eine Eichenmast deutet auf extremen Stress der Bäume hin“, weiß er. „Die Bäume produzieren vor ihrem Tod mehr Eicheln, um ein Überleben ihrer Art zu sichern.“ Der Klimawandel sei in vollem Gange – und eine Folge dessen sei auch die Vermehrung der Wildschweine. Sie bleiben jedoch nicht im Wald, sondern gehen auch gern in bewohntes Gebiet, um andere Leckerbissen zu finden.

Maßnahmen gegen die Wildschwein-Plage

„Wir können durch die Jagd der Stadtjäger die Wildschweine nicht ausrotten, aber wir bringen Unruhe in die Rotten-Gesellschaften, die sich dann dort nicht mehr sicher fühlen und sich in die Wälder zurückziehen“, sagt Ehlert. Das Bezirksamt helfe seinerseits mit dem Roden von Sträuchern. Die Zorns schützen ihrerseits einen Teil ihrer Felder mit Elektrozaun und angehängten Klosteinen: „Ob der Geruch der Klosteine sie abschreckt oder der Elektrozaun – es hilft. Das eingezäunte Feld ist nahezu intakt“, sagt sie. Doch könne sie nicht alle Felder mit Elektrozäunen versehen. „Es sind zu viele Spaziergänger mit Kindern und Hunden hier unterwegs, sodass wir Rücksicht nehmen.“

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.