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„Moderne Berliner Biere mit einer Note Abenteuer“

Kleine und mittelständische Brauereien im Norden brauen nach eigenen Rezepten

Bier wird industriell in großem Maßstab gebraut oder in kleinen Mengen für den Bedarf des eigenen Lokals. Dazwischen gibt es noch kleine Brauereien, die sich auf den Weg machen, den Massenmarkt zu erobern. Zu diesen zählt die Vagabund-Brauerei in den Weddinger Osram-Höfen.

Wer verschiedene Biere verkosten will und Lust hat, unterschiedliche Geschmacksrichtungen auszuprobieren, der wird im Norden Berlins fündig. So existiert zum Beispiel eine kleine Mikrobrauerei im Landhaus Schupke in Alt-Wittenau. Auch wenn dort nicht vor Ort gebraut wird, sondern in einer Lohnbrauerei: Schupke-Bräu gibt es nur bei Schupke. Im Pub Kubi‘Point im Alt-Tegeler Medebacher Weg wird Bier nach dem Natürlichkeitsgebot gebraut und damit noch reiner als nach dem sogenannten Reinheitsgebot. In Pankow hat der Pub Two Fellas kürzlich sein Pankow Pals Pils vorgestellt. Eine Entdeckung dürfte für die meisten Menschen die Berliner Weiße nach Originalrezepten aus dem 19. Jahrhundert sein, die Ulrike Genz im Weddinger Norden anbietet. Schneeeule heißt ihre Marke. Und berlinweit bekannt ist Martin Eschenbrenner in der Triftstraße unweit der Müllerstraße. Im dortigen Biergarten und Bierkeller gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten Eschenbräu vom Pils bis zum Panke Gold.

Mikrobrauerei auf dem Weg zu Großem

In der Riege dieser kleineren Brauereien spielt bislang noch die Vagabund-Brauerei mit. Im Jahr 2013 eröffnete die Brauerei ihre Bar in der Antwerpener Straße – damals noch Taproom genannt. Doch die Mikrobrauerei, die einst von drei Amerikanern gegründet wurde, geht heute ihren Weg mit deutlich größeren Schritten weiter als noch vor zehn Jahren. Ihr Ziel ist es, im ehemaligen Kraftwerk der früheren Osram-Werke in der Seestraße eine Million Liter Bier pro Jahr zu brauen. Diese Menge ist die Grenze, ab der aus einer Mikrobrauerei eine mittelständische Brauerei wird.

Braumeister Erik Mell in der Vagabund-Brauerei im Wedding

Um dieses Ziel zu erreichen, beschafft das Unternehmen noch in diesem Jahr zusätzliche Tanks. Beim Einzug in das historische Industriegelände in der Seestraße nahmen die Tanks gut die Hälfte des Raums im denkmalgeschützten Kraftwerksteil ein. Bald soll der Raum fast vollständig mit den silberglänzenden, baumhohen Tanks gefüllt sein. Braumeister Erik Mell, der von den Anfangsjahren der Vagabund-Brauerei bis heute dabei ist, wird dann öfter einen der riesigen Stahltanks öffnen können. Häufiger als heute wird dann in einem der vielen Stahltanks die Gärung abgelaufen sein und es kann Bier in Flaschen abgefüllt werden

Fünf Biersorten, die von Vagabund gebraut werden.

Um die möglichen Mengen an den Bierfreund zu bringen, hat die Vagabund-Brauerei ihre Werbung umgestellt. Statt mit den Begriffen Craft-Beer und Lokalbier, die vor allem Kenner und Genießer ansprechen, wird jetzt mit dem Spruch „Moderne Berliner Biere mit einer Note Abenteuer“ geworben. Statt blumiger Namen für die einzelnen Sorten stehen auf den Etiketten die etablierten Begriffe Pils und Helles. Die von Liebhabern von Handwerksbier geschätzten Pale Ale und IPA werden aber weiterhin gebraut. Als Bonus ist auf jedem der neu gestalteten Etiketten ein QR-Code mit einem Link zu einer Playlist abgedruckt. In den Bieren steckt also Musike. So soll Vagabund-Bier in die Regale der Supermärkte Edeka, Rewe, Getränke-Hoffmann einziehen. Und dort bestehen.

Dass die neue Positionierung im Markt klappt, ist nicht aussichtslos. Denn Bier ist ein beliebtes Getränk und wird, grob gerundet, so häufig getrunken wie Milch. Mit anderen Worten: Der Biermarkt ist groß. Auch wenn gerade immer öfter maßvoll statt in Massen getrunken wird. Denn der Bierkonsum ist von über 100 Litern pro Kopf und Jahr im Kalenderjahr 2015 auf heute etwas mehr als 80 Liter pro Kopf und Jahr gesunken. Das ist ein Rückgang, aber es wird immer noch viel getrunken. Statistisch trinkt jeder Mensch vom Baby bis zum Greis durchschnittlich in Deutschland eine halbe Flasche Bier pro Tag. Und wenn der Markt groß ist, dann ist Platz für alle. Für die Brauereien, die auf jene Käufer setzen, die mit dem Durchschnitt zufrieden sind und zu den Marken der Konzerne greifen, die jährlich Milliarden Liter Bier herstellen. Zu diesen Konzernen gehören die Radeberger Gruppe, Oettinger, Paulaner, Krombacher oder Bitburger. In einem großen Markt ist auch Platz für etwas kleinere Akteure wie Brewdog, Brlo oder Lemke. Das ist die Liga der mittelständischen Brauereien. In diese Liga will Vagabund aufsteigen. Vom Mikrobrauer zum Mittelständler. Wer sich den Aufsteiger vor Ort selbst anschauen möchte, der kann dies bei einer Bierverkostung oder einer Brauereiführung tun. 

www.vagabundbrauerei.com

Andrei Schnell