Lübars – Die Geldübergabe soll am Schuppen in Lübars stattfinden, verläuft aber nicht wie geplant. Zurück bleibt eine Leiche, und damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Es überrascht, dass es den Serienmörder Tom Ripley nach mondänen Schauplätzen wie Venedig, New York und Paris im vierten Band ausgerechnet nach Lübars verschlägt. In „Der Junge, der Ripley folgte“, dem vierten Band der Reihe, beschreibt die Krimiautorin Patricia Highsmith mit großer Liebe fürs Detail das geteilte Berlin Ende der 1970er Jahre. Ein Millionärssohn aus den USA kommt als Ausreißer nach Europa und gerät dort in Gefahr. Der sechzehnjährige Frank weckt beim sonst so berechnenden Ripley den Beschützerinstinkt.
Neun Tage vor ihrer Geburt am 19. Januar 1921 in Texas wurden Patricias Eltern geschieden. Ihre Mutter Mary heiratete erneut. Für den Stiefvater Stanley Highsmith empfindet sie „Hass auf den ersten Blick“. Schon als Kind liest sie gebannt in einem Psychiatrie-Buch über die Abnormalitäten des Menschen, was sich als hilfreich für ihre Karriere als Schriftstellerin erweist. Ihre Kriminalromane sind kein Rätselraten um den Täter, sondern Studien über die Abgründe des Menschen. Die Leser blicken dem Mörder oft beim Verbrechen über die Schulter und dabei in die düstere Seele.
Ihr erster Thriller „Fremde im Zug“ war 1950 so erfolgreich, dass er kurz darauf von Alfred Hitchcock verfilmt wurde. Einen Roman über eine lesbische Beziehung, der sich ebenfalls sehr gut verkaufte, veröffentlichte sie unter Pseudonym und gestattete erst knapp vierzig Jahre später eine Neuauflage unter ihrem richtigen Namen.
Sie reiste viel, besonders durch Europa, wo sie häufig für ihre Arbeit recherchierte. „In der Regel nehme ich fünf oder sechs meiner Lieblinge mit auf Reise.“ Gemeint sind die Schnecken von Highsmith, denn diese Zwitterwesen faszinierten sie.
Bisweilen wurde sie von ihrer Mutter begleitet. Das Verhältnis der beiden war aber äußerst schwierig, immer wieder kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Auch mit Verlegern, Journalisten und Liebhaberinnen pflegte die schwere Alkoholikerin einen oft ruppigen Umgang.
Der Bestseller „Der talentierte Mr. Ripley“ kam so gut an, dass Highsmith vier Fortsetzungen schrieb. Auch auf der Leinwand waren die Ripley-Thriller mehrfach zu sehen – erstmals 1960 mit Alain Delon. Später verkörperten Dennis Hopper, John Malkovich und Matt Damon den eiskalten Killer und Hochstapler. Der letzte Band „Ripley Under Water“ erschien 1991, vier Jahre vor ihrem Tod in der Schweiz, wo sie die letzten 15 Jahre ihres Lebens verbracht hatte.
1978 war die Schriftstellerin Vorsitzende der Berlinale-Jury. Bei dieser Gelegenheit erkundete sie auch das Nachtleben der Stadt mit den Schwulen-Clubs und Travestie-Bars, die sie in dem „Jungen, der Ripley folgte“ ausführlich beschreibt. Begleitet wurde sie dabei von der 25-jährigen Schauspielerin Tabea Blumenschein, mit der die 57-jährige Schriftstellerin eine leidenschaftliche Affäre hatte. Tabea diente als Vorbild für den titelgebenden Teenager – vermischt mit Eigenschaften ihrer Nachfolgerin Monique, der Highsmith das Buch am Ende widmete.
Nicht nur die Charakterzeichnungen, sondern auch ihre Ortsbeschreibungen sind bestechend genau. So wird selbst die Bushaltestelle am Zabel-Krüger-Damm erwähnt und die besondere Atmosphäre des Flughafens Tegel geschildert. Damit ist der Krimi auch ein spannender Blick zurück in eine Zeit, als die Mauer noch stand: Nach einem Schuss im nächtlichen Lübars bricht das Gebell der Hunde vom Grenzstreifen los …
Boris Dammer

Patricia Highsmith Foto: © Archiv Diogenes Verlag