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Entstanden aus Landgemeinden und Gutsbezirken

Hermsdorf – Vor 100 Jahren wurde die Stadt Berlin mit dem „Groß-Berlin-Gesetz“ in ihre heutige Form gegossen. Zu den damals sechs bestehenden Verwaltungseinheiten kamen 14 neue hinzu. Reinickendorf wurde als 20. Bezirk der damals auf 3,9 Millionen Einwohnern gewachsenen Stadt Berlin aufgenommen. Entstanden war der Bezirk im Nordwesten aus sechs Landgemeinden und einigen Gutsbezirken. Der Name „Reinickendorf“ war zunächst nur als Übergangslösung gedacht. Im Gespräch waren auch „Tegelstadt“ und „Humboldtstadt“. Es blieb dann doch bei Reinickendorf.

Mit der Ausstellung „Mitten in Reinickendorf. 100 Jahre (Groß) Berlin“ will das Museum Reinickendorf für dieses Thema interessieren. Sie wurde am 6. Juli eröffnet und ist noch bis zum 25. Oktober zu sehen. Die treibende Kraft hinter dieser Nabelschau ist die langjährige Museumsdirektorin Cornelia Gerner, die sich der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens sehr wohl bewusst ist. Im Vorwort des umfangreichen und liebevoll gestalteten Katalogs schreibt sie, dass Reinickendorf oft als „langweiliger“ und „gesichtsloser Ort“ abgetan werde.

Bei einer Führung von Gerner durch die Räume der „GalerieEtage“ hinter dem Museum merkt man sofort, wieviel Herzblut von der Museumsdirektorin und ihrem Team in dieser Ausstellung steckt. Lange verweilt die Museumsdirektorin vor der Karte von Reinickendorf im Eingang und erklärt die Herangehensweise an dieses Jubiläum. Reinickendorf habe „nicht das eine Zentrum“, wo die Menschen gern flanieren, in Cafes gehen oder einkaufen. Dafür gebe es mehrere „Mitten“, die sich mehrheitlich erst in den vergangenen 100 Jahren herausgebildet hätten.

So ist die Ausstellung thematisch auf die Heinsestraße, das Märkische Viertel, den Kurt-Schumacher-Platz, die Residenzstraße und die Zentren in Tegel und Frohnau zugeschnitten. Sie merkt kritisch an, dass Reinickendorf von der Politik häufig „von oben gelesen“ werde. Das heißt, dass besonders die wohlhabenderen Wohngegenden im Norden – also Frohnau, Hermsdorf und Heiligensee – betont werden und über die „Schmuddelecken“ im Süden des Bezirks eher hinweggesehen werde. Aber gerade diese Gegenden interessieren Cornelia Gerner besonders. Wie sind sie so geworden, wie sie sind und welche Perspektiven können sich ergeben?

So sei die Residenzstraße als prächtige Chaussee vom Wedding in die damaligen Dörfer angelegt worden. Sie entwickelte sich zu einer „stolzen Einkaufsstraße“, die noch bis in die 60er Jahre hinein „ein kleiner Kurfürstendamm“ gewesen sei. Nachdem die Straße „lange Jahre der Verwahrlosung anheimgegeben“ worden war, gebe es jetzt Initiativen wie das Quartiersmanagement, das Kleinkunstfestival „Salon K“ und den unter Gerners Leitung arbeitenden Projektraum „resiART“ , die der „vielleicht eigentlichen Mitte Reinickendorfs wieder Leben einzuhauchen“ versuchen.

Das 1910 erbaute Rathaus von Reinickendorf ist für Gerner „ein Prestigebau“, der schon damals auf die Gründung eines großen Bezirkes zielte. Trotzdem sei es den Städtebauern nicht gelungen, daraus ein Zentrum entstehen zu lassen. So sei es bis heute geblieben. Gerner kritisiert aber nicht nur, sondern hebt auch die gelungenen architektonischen Eingriffe der vergangenen Jahrzehnte hervor. Da fehlt natürlich nicht die „Weiße Stadt“ mit den für die 1920er Jahre modernen und lebenswerten Wohnungen, sondern auch der Umbau der Borsigwerke zum Einkaufszentrum „Borsighallen“ unter der Regie von Wolf-Borwin Wendlandt werden ausdrücklich gelobt.

Auffallend ist, dass kein Wort zur Nachnutzung des Flughafens Tegel fällt. Darauf angesprochen, ob eine Ausstellung zum 125. Jahrestag des Bezirks Reinickendorf dort ein weiteres Zentrum vermerken wird, sagt Gerner nachdenklich: „Vielleicht wird das sogar das eine Zentrum von Reinickendorf“.bs

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.