Ein Bett, das nicht ihres ist, eine Unterkunft, die nicht ihr Zuhause ist, ein Land, das nicht ihre Heimat ist. Dort, wo ihr Zuhause ist, fallen seit mehr als 1.000 Tagen Bomben. Und ihr Bett und ihr Zuhause gibt es vielleicht schon nicht mehr. Viele sind Hals über Kopf geflohen – nur mit dem, was sie tragen konnten. Ein kleiner Rucksack auf dem Rücken, ein Stofftier oder eine Puppe in der einen, die Hand von Mama in der anderen Hand. Tagelang waren sie unterwegs in Zügen, Bussen oder zu Fuß, ohne zu wissen, wo die Flucht enden würde. Was sie erlebt haben? Wie laut die Explosionen waren, die sie gehört haben? Oder die Schreie anderer Menschen? Oder haben sie gar selbst einen geliebten Menschen verloren?
Sicherheit im ehemaligen Flughafen Tegel
Hier, in der Unterkunft für geflüchtete Menschen am ehemaligen Flughafen Tegel, sind sie in Sicherheit. Hier haben sie ein Bett, zu essen und Kleidung. Es ist kein Zuhause, keine Heimat, aber es ist sicher. Derzeit sind am TXL im Terminal C und in großen Zelten auf dem Rollfeld rund 4.000 Geflüchtete untergebracht; davon etwa 3.000 aus den Kriegsgebieten der Ukraine, und die anderen rund 1.000 Menschen sind Asylsuchende. Die am TXL aufgebaute Einrichtung war eigentlich lediglich als Ankunftszentrum gedacht, in dem die Geflüchteten nur wenige Tage bleiben und dann in anderen Unterkünften untergebracht werden. Doch mittlerweile beträgt die Verweildauer mehrere Monate.
Clowns bringen Hoffnung und Freude
Der Verein Rote Nasen Deutschland e.V. ist hier regelmäßig mit seinen Künstlerinnen und Künstlern vor Ort. „Hoffnung und Zuversicht schenken“, ist die Devise. Denn ein Kind ist ein Kind – auch wenn es traumatische Ereignisse erleben musste. Und genau deshalb helfen sie den geflüchteten Kindern, durch Spaß und Spielen die Welt neu zu entdecken und sich wieder in ihr zurechtzufinden.
Ein besonderer Besuch mit der Bezirksbürgermeisterin
Es ist der 29. Oktober, kurz nach 14 Uhr, als die Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner gemeinsam mit Uwe Brockhausen, stellvertretender Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit, auf dem Gelände eintrifft. Sie wollen bei der Clown-Visite der Roten Nasen dabei sein. Nach einem kurzen Fototermin draußen folgen die beiden Politiker den drei Clowns mit den roten Nasen. Christine Scherzer, die den Clown Natascha Lachmannowa verkörpert, ist ausgebildete Sängerin und Tänzerin. Die Schauspielerin Florentine Schara schlüpft in die Rolle des Clowns Perdita Poppers und Schauspieler Mustafa Cicek ist heute Clown Musto. Musizierend laufen die Drei durch die ehemalige Eingangshalle des Flughafen-Terminals und zaubern überall ein Lächeln in die Gesichter der Menschen. Im Speisesaal sitzen die Geflüchteten auf Bänken an den Tischen. Sie lesen, essen, trinken Kaffee oder unterhalten sich – bis die Clowns eintreffen. Dann wird gelächelt, geklatscht und geschunkelt. Der ernste Alltag ist für einen Moment unterbrochen, die schlimmen Erinnerungen kurz verblasst.
Die Geschichte der Roten Nasen
„Zum ersten Mal haben wir uns während der Syrienkrise für Geflüchtete eingesetzt“, erklärt Reinhard Horstkotte, künstlerischer Leiter der Roten Nasen Deutschland. „Das ganze Land war ohnmächtig, und wir als Künstlerinnen und Künstler hatten das Bedürfnis, etwas tun zu müssen. Diese Willkommenskultur, die besonders zu Beginn einen großen positiven Effekt im Land ausgelöst hat, haben wir genutzt. Und so haben wir für Geflüchtete in unterschiedlichen Turnhallen, aber auch im Flughafen Tempelhof gespielt.“ Spezielle Projekte wurden etabliert – auch gemeinsam mit der Berliner Stadtmission. „Aber da ging es nicht mehr allein um Willkommenskultur, sondern hatte mehr und mehr mit Integration zu tun“, fügt er hinzu.
Mit Clowns gegen das Trauma
Dann kam der Ukraine-Krieg. Am Berliner Hauptbahnhof, an dem die meisten Geflüchteten ankamen, bauten die Roten Nasen im Frühjahr 2022 ein Zelt auf. „Damals war ich sehr skeptisch“, erinnert sich Horstkotte. „Alle sind traumatisiert. Kann man da dann mit Clowns hingehen? Aber ich habe sofort gemerkt, wie die Kinder sofort drauf angesprungen sind. Es ist wirklich so: Kinder leben im Jetzt, im Spiel können sie alles um sich herum vergessen, auch die fürchterlichsten Dinge“, sagt er.
Lachen als Heilmittel für Kinder und Erwachsene
Die Erinnerung an erlebte Gräuel, Angst, Trauer und Erschöpfung begleitet die Mädchen und Jungen noch sehr lange. Hinzu kommt, dass das Leben in Deutschland für sie nicht einfach ist. Schließlich kennen sie weder das Land noch die Sprache und wohnen mit wildfremden Menschen auf engstem Raum zusammen, die ebenfalls traumatisiert sind wie sie selbst. Doch eine Clown-Visite bringt für einen kurzen Moment Freude und eine Leichtigkeit im Leben der kleinen Geflüchteten mit. Sie erleben eine sorgenfreie Zeit, können wieder richtig lachen. Clowns wecken aber auch Potentiale, die Kinder schöpfen neues Selbstbewusstsein und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. „Wenn wir es schaffen, dass diese Kinder lachen, sich für einen Augenblick unbeschwert fühlen, macht das auch etwas mit den Erwachsenen um sie herum. Die Kinder so zu sehen, gibt ihnen Hoffnung“, sagt der künstlerische Leiter.
Die universelle Sprache der Clowns
„Lachen ist Hoffnung“ – das ist das Motto der Roten Nasen. Und in den Zelten am TXL kann man das ganz deutlich sehen. Die drei Clowns ziehen weiter in eines der großen beheizten Zelte, in denen Geflüchtete wohnen. Bänke stehen schon bereit, und Kinder warten sehnsüchtig auf das bunte, schrille und gut gelaunte Trio. Als sie dann kommen, ist die Freude groß. Das Gute bei diesen kurzen Clown-Besuchen: Die Clowns nutzen keine Sprache, sondern sprechen über Gesten, Mimik und Musik. „Aber alle Clowns haben gute Sprachkenntnisse, viele sprechen Russisch, sodass sie sich dennoch mit vielen Kindern unterhalten können“, sagt Mehran Moazami-Goudarzi, Geschäftsführer des Vereins.
Ein Moment der Unbeschwertheit
Ein kleines Lächeln, dann ein lautes, befreites Lachen – die Mädchen und Jungen verfolgen gespannt die kleine Vorstellung der drei hoch motivierten Clowns. Und auch Stadtrat Brockhausen und die Bezirksbürgermeisterin sind begeistert: „Ich bin wirklich beeindruckt“, sagt Demirbüken-Wegner. „Es ist schön, die Kinder so glücklich zu sehen.“ Die Kinder wissen auch schon: In einer Woche sind sie wieder da – und dann können sie ihre Sorgen und schlimmen Erinnerungen wieder für eine halbe Stunde vergessen …