Lehrer ist hier kaum mehr jemand

Reinickendorf/Wedding – Nein, auf den ersten Blick ahnt man nicht, welch ehrwürdiger Klangkörper sich hier versammelt, wenn montags am frühen Abend einer nach dem anderen in die Leo-Lionni-Schule an der Ecke Müller- und Triftstraße im Wedding huscht, dort wo tagsüber die Grundschüler des Kiezes lesen, schreiben und vieles mehr lernen. Aber: Hier probt der Berliner Lehrerchor, und der schaut auf eine immerhin mehr als 130-jährige Geschichte zurück.

Was hat der Chor nicht aber auch alles schon zu überstehen gehabt: den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, Kaiserzeit, Weimarer Republik, Naziherrschaft, die Teilung der Stadt, und jüngst hat auch Corona den Sängern arg zu schaffen gemacht. „Wir haben es mit Zoom-Proben versucht und uns auch einmal im Garten einer unserer Sängerinnen zusammengefunden“, schaut Monika Gehrke zurück. Sie versieht das Amt der Präsidentin des Berliner Lehrerchores. Undenkbar am 17. Januar 1887, dem offiziellen Gründungsdatum, als der Verein zum ersten Mal unter der Stabführung Felix Schmidts, Professor an der Königlichen Hochschule für Musik, als „Sängerbund des Berliner Lehrervereins“ auftrat. Seinerzeit ausschließlich Herren, die den Lehrerberuf ausübten, in der Regel den des Musiklehrers.

„Der Berliner Lehrerchor war eine Institution, der hatte einen Namen. Mit dem Kölner Männergesangverein sang man um die Kaiserkette, die mal da und mal da hin ging“, schaut die Präsidentin in längst vergangene Zeiten zurück.

Zu Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts bildet sich eine Frauengruppe des Berliner Lehrerchores. Heute ist dieser ein gemischter Chor – mit mehr Frauen- als Männerstimmen, und Lehrer ist hier kaum mehr jemand.

Manuela Dannemann sagt: „ Wir sind offen für alle, die Spaß am gemeinsamen Gesang haben.“ Sie ist die Schatzmeisterin des Vereins. Wie hoch das gesangliche Niveau des Berliner Lehrerchores auch heute noch ist, das wissen die Besucher etwa der traditionellen Konzerte in der Tegeler Dorfkirche oder im Ernst-Reuter-Saal des Reinickendorfer Rathauses. Das Repertoire ist anspruchsvoll: „Der Messias“ von Georg-Friedrich Händel in der Bearbeitung Wolfgang Amadeus Mozarts und Bachs „Weihnachtsoratorium“ finden sich darin genauso wie die achte Sinfonie aus der Feder Gustav Mahlers. Aber auch Heiteres, Volkslieder oder deutsche und internationale Weihnachtssongs haben die Sänger drauf.

Damit das auch künftig noch so bleiben kann, würde sich der Berliner Lehrerchor über stimmliche Verstärkung freuen, egal welchen Alters, welchen Berufes oder welchen Geschlechtes. Was den Sangesfreunden aber noch viel mehr unter den Nägeln brennt: Derzeit haben sie keinen Chorleiter. „Wenn uns da jemand Erfahrenes helfen könnte, das wäre das größte Glück“, so Monika Gehrke. Wer Rat weiß oder einmal bei einer Probe vorbeischauen möchte, erreicht sie unter der Telefonnummer 0173/ 235 64 05.

lt

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.