Michail Eisenstein – ein Meister der Fassade

Vor allem wegen ihrer zahlreichen Jugendstilbauten gehört die Innenstadt von Riga zum Unesco-Kulturerbe. Das verdankt die lettische Hauptstadt zum großen Teil dem Architekten Michail Ossipowitsch Eisenstein, der in Tegel begraben liegt. Als er 1867 im Zarenreich das Licht der Welt erblickte, hatte die deutschstämmige jüdische Kaufmannsfamilie sicherlich keine Künstlerkarriere für ihren Sprössling im Sinn. Einer seiner beiden Brüder starb 1904 als Offizier im russisch-japanischen Krieg, der andere war Untersuchungsrichter und endete in einer Nervenheilanstalt.

Michail ging nach seinem Ingenieursstudium in Sankt Petersburg nach Riga, das damals zum russischen Zarenreich gehörte. Neben seiner Beamtentätigkeit arbeitete er auch als Architekt. Seine Entwürfe begann er stets mit der detaillierten Ausarbeitung der Fassade, bevor er sich an das Innere des Gebäudes machte. Die reich verzierten Häuserfronten wurden anfangs noch als „Zuckerbäckerstil“ verhöhnt.

Mit dreißig konvertierte er zum russisch-orthodoxen Christentum und ehelichte die dreiundzwanzigjährige Julia Konezkaja. Schon kurz nach der Hochzeit kam es zum Eklat, weil der Bräutigam entgegen seiner Behauptung kein Baron war und seine jüdische Herkunft verschwiegen hatte – sehr zum Missfallen der Brautfamilie, die es durch Frachtschifffahrt zu beachtlichem Reichtum gebracht hatte. Am 2. Februar 1898 wurde Sergej geboren. Ein glückliches Familienleben sollte das Einzelkind nie kennenlernen. Seine Mutter sei zu heißblütig gewesen, sein Vater zu unterkühlt, kommentierte er das schwierige Verhältnis später. Durch die Affären der Mutter kam es immer wieder zu nächtlichen lautstarken Ehestreitigkeiten. Schließlich folgte 1909 die Trennung und drei Jahre später die Scheidung. Der Sohn blieb beim Vater, obwohl er sich bei seiner Mutter, die er gelegentlich in Petersburg besuchte, deutlich wohler fühlte. Sergej litt unter der strengen Erziehung des Vaters, der trotz seines pedantischen Charakters auch eine verspielte Seite hatte: So oft wie möglich besuchte er die Operette „Fledermaus“ und summte gut gelaunt mit, wenn sein Namensvetter „Herr Eisenstein“ besungen wurde. Dieses kindliche Vergnügen legte ihm sein Sohn allerdings als reine Eitelkeit aus.

Anfangs besuchte Sergej noch brav das Ingenieursinstitut in Petersburg, an dem bereits sein Vater studiert hatte, doch schon bald machte er seine Theaterleidenschaft zum Beruf. Bei Ausbruch der Revolution schlug sich Eisenstein senior ohne Zögern auf die Seite der zaristischen „Weißen“, während dJunior sich den Rotarmisten anschloss. Sergejs Entschluss entsprang weniger einer festen politischen Überzeugung, vielmehr ließ er sich von der Aufbruchstimmung mitreißen, die auch viele künstlerische Bereiche erfasste. Das junge Medium Film faszinierte ihn besonders. Bereits wenige Jahre später war er einer der einflussreichsten Filmregisseure; sein „Panzerkreuzer Potemkin“ gilt bis heute vielen als der wichtigste Stummfilm aller Zeiten.

Michail Eisenstein flüchtete mit seiner neuen Lebensgefährtin nach Deutschland, wo er zwei Jahre später am 1. Juli 1920 in einer Pension Unter den Linden starb. Beerdigt wurde er auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Tegel. Dem Verstorbenen wurde ein Schulfoto des Sohnes beigelegt, den die Nachricht des Todes erst Monate später erreichte. So verschieden Vater und Sohn auch gewesen sind, prägten dennoch beide auf eigene Weise mit ihrem klaren künstlerischen Blick ihre jeweilige Epoche. bod

Das Grab Michail Eisensteins Foto: bod

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.