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TXL als Schutzort vor dem Krieg

Tegel – Noch bis zum Februar 2020 hob hier alle zwei Minuten ein Flugzeug ab, und am 8. November 2020 erfolgte der allerletzte Flug. Der TXL war Jahrzehnte Dreh- und Angelpunkt für Reisende. Doch nun ist er zum Schutzort geworden. Ein Ort zum Schutz vor Bomben, Zerstörung und Tod. Zurzeit sind insgesamt 2.873 geflüchtete Menschen aus der Ukraine hier untergebracht, davon zwischen 600 und 700 Kinder vom Säugling bis zum Teenager. Karin Rietz vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), verantwortlich für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit im Ankunftszentrum Tegel, nahm die RAZ Reporterin mit auf das ehemalige Flughafengelände, um zu erfahren, was hier geschieht.

Die Verwandlung von Tegel: Vom Flughafen zum Schutzort

Seit dem 24. Februar 2022 ist nichts mehr, wie es war. Es war der Tag, an dem die Ukraine angegriffen wurde und die Menschen fliehen mussten. Sie kamen zu Tausenden mit kleinen Kindern, Hunden und Katzen und dem Nötigsten, was sie gerade noch tragen konnten. Anfangs auf dem Gelände der einstigen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (KBoN) in Empfang genommen, wurde das Ankunftszentrum (Akuz) schon bald zum ehemaligen Flughafen Tegel am Saatwinkler Damm verlegt. Im Terminal C sowie in zwölf Leichtbauhallen auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafens können derzeit rund 4.400 Menschen aufgenommen und erst einmal untergebracht werden.

Das Ukraine Ankunftszentrum: Hinter den Kulissen der Hilfe

Es ist früher Nachmittag, als ich mit dem Auto auf das Gelände des ehemaligen Flughafens TXL fahre. Ich bin vorher angemeldet worden, darf also zum Terminal C durch. Das wurde 2011 zur Erweiterung des Flugverkehrs gebaut. Dort treffe ich auf Karin Rietz, die mir eine umfängliche Führung über das Gelände geben wird.

Täglich sind rund 1.000 Mitarbeitende im Einsatz, die in zwei oder drei Schichten arbeiten. Die größte Gruppe stellen die Hilfsorganisationen dar: Unter der Leitung des DRK als Betriebsleitung auf dem Gelände sind hier neben den Maltesern auch der Arbeiter Samariter Bund und die Johanniter im Einsatz. Auftraggeber für das Ankunftszentrum Tegel ist das LAF.

Das Leben in der Notaufnahmeeinrichtung: Zwischen Sicherheit und Ungewissheit

Zudem sind Reinigungskräfte und auch Sicherheitskräfte von Team Flex rund um die Uhr vor Ort, und auch das Catering-Team arbeitet rund um die Uhr, um die vielen Menschen dreimal am Tag mit Mahlzeiten versorgen zu können. Hinzu kommen die Sprachmittler zur Übersetzung und die Polizei zur Sicherheitsüberprüfung.

Unterscheiden kann man die einzelnen Gruppen an den verschiedenfarbigen Westen. „Ich selbst bin immer wieder beeindruckt, wie das die Kolleginnen und Kollegen der unterschiedlichsten Bereiche so alles stemmen“, sagt Rietz. Das war am Anfang nicht gleich so. Aber mit viel Manpower und Engagement konnte das Ukraine Ankunftszentrum innerhalb weniger Tage aufgebaut werden.

Anfangs wurde das Hauptterminal genutzt, um die Geflüchteten unterzubringen, die Mitarbeiter vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten waren im Bereich zwischen Gate 15 und Gate 1 untergebracht. Mittlerweile ist alles ins ehemalige Terminal C gezogen. Dort, wo der Check-in in Halle C stattfand, werden nun Geflüchtete mit einer Berlin-Verteilung eingecheckt. Der Vorgang findet nun im ehemaligen Warte- und Gepäckbereich statt.

Ursprünglich als reines Verteilzentrum (HUB) und Drehkreuz eingerichtet, sollten die Menschen nach ihrer Verteilung nach spätestens drei Tagen in einer Berliner Gemeinschaftsunterkunft untergebracht oder in andere Bundesländer weitergereist sein. Mittlerweile bleiben die Menschen im Durchschnitt acht Monate hier, und das AkuZ TXL ist zu einer Notaufnahmeeinrichtung geworden.

Allein im letzten Jahr 10.000 neue Plätze

Dabei seien die Kapazitäten in Berlin gar nicht so gering. Karin Rietz erklärt: „Das LAF hat insgesamt mehr als 32.000 Unterkunftsplätze in ganz Berlin, Tendenz steigend. Allein im letzten Jahr sind 10.000 Plätze neu geschaffen worden – das war ein unglaublicher Kraftakt für das Amt. Doch leider reichen die Plätze nach wie vor nicht, weil wir nicht nur die Geflüchteten aus der Ukraine, sondern auch aus anderen Herkunftsländern haben, die auf dem Gelände des AkuZ Oranienburger Straße (KBoN-Gelände) angekommen und untergebracht sind“, sagt sie.

Geflüchtete aus der Ukraine unterliegen erst einmal der Freizügigkeit. Sie können durch Polen nach Deutschland reisen und dorthin fahren, wo sie möglicherweise schon Freunde oder Verwandte haben. „Wenn jedoch jemand irgendwann einmal Leistungen beanspruchen möchte oder einen Aufenthaltstitel braucht, muss derjenige hierher nach Tegel kommen, sich verteilen und registrieren lassen“, sagt sie. Verteilt werden die Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer. Alle Bundesländer greifen dabei auf dasselbe elektronische System zurück. Diejenigen, die nach Berlin verteilt werden, werden eingecheckt, erhalten einen Bettenplatz und einen Hausausweis.

Untergebracht sind die Geflüchteten in so genannten Waben – kleine, aus Stellwänden errichtete Zimmer mit je sieben Doppelstockbetten für bis zu 14 Menschen. Statt einer Tür verhüllt ein Vorhang die Sicht auf die privaten Bereiche – aufgrund der Brandschutzbestimmungen ist keine verschließbare Tür erlaubt. Davor Hunde- und Katzennäpfe für die Haustiere, die auf der Flucht mitgenommen wurden. „Wir haben pro Woche etwa 60 bis 70 Haustiere hier“, sagt Karin Rietz. Nancy Kausch beim Animal Carepoint kümmert sich um die Versorgung der Vierbeiner: „Ob Hundefutter oder Katzenklo – die Leute bekommen hier bei mir das Nötigste für ihre Tiere“, sagt sie.

Bastelzimmer, Bibliothek und Fußballplatz

Die Menschen sind in Sicherheit, doch ist es kein Ort für eine Dauerunterbringung. Dennoch müssen sie länger hier verweilen als geplant. Und so versucht man es ihnen so angenehm wie möglich zu machen – beispielsweise mit Bastelzimmer und Fußballplatz, einer kleinen Bibliothek und Nähmaschinen in Containern. Auch ein Container mit Bügeleisen und Bügelbrett gibt es mittlerweile, weil einige vor Bewerbungsgesprächen noch ihre Hemden bügeln möchten.

Was unverständlich ist: Die Kinder gehen trotz Schulpflicht nicht zur Schule. „Das liegt daran, dass der Flughafen Tegel keine Meldeadresse darstellt“, erklärt Rietz. Ohne Meldeadresse existieren sie quasi gar nicht, und so kann den Kindern auch keine Schule zugewiesen werden.“ Dass hier noch keine Lösung gefunden wurde, ist unverständlich.

Ich gehe über das ehemalige Rollfeld und sehe, wie die Kinder Fußball spielen und kleine Mädchen malen. Sie lächeln und lachen. Für sie ist der Krieg weit weg – und doch ist er so nah. Denn sonst bräuchte man diese Unterkunft gar nicht …

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Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.