40 Jahre Naturoase am Flughafensee

Der Flughafensee ist einerseits Ziel von Tausenden von Menschen, die kostenlosen Strand- und Badespaß genießen. Andererseits ist dieses einst künstlich angelegte Seegebiet zum Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten geworden. Rund die Hälfte des Gebietes, nämlich 26 Hektar, dient heute als Vogelschutzreservat und ist für Besucher gesperrt. Die Arbeitsgemeinschaft Flughafensee kümmert sich seit nunmehr 40 Jahren um dieses besondere Areal. AG-Leiter Frank Sieste blickt im RAZ-Interview zurück und voraus.

Dieser Ort mit seinem See hat eine bewegte Vergangenheit. Können Sie ein wenig davon erzählen?

Vor 100 Jahren gab es noch keine Grube und erst recht keinen See, sondern nur eine große ebene bewaldete Fläche. Diese wurde dann freigelegt, die Jungfernheide gerodet und als Artillerieschießplatz von der kaiserlichen Armee genutzt. In Richtung Bernauer Straße sind im Wald sogar noch breite Gräben erkennbar – die alten Schießbahnen. Später richtete die Wehrmacht ein Raketentestgelände ein. Und nach dem 2. Weltkrieg kamen die Franzosen. Sie haben hier innerhalb weniger Monate den Flughafen Tegel hochgezogen.

Wie ist der See entstanden?

Er wurde von Menschenhand gemacht und entstand aus einer Kiesgrube. Denn seit 1953 bauten hier die Märkischen Kies- und Sandwerke Kies und Sand für die West-Berliner Bauwirtschaft ab. Auch für den Bau der Autobahn, des Flughafens und das Märkische Viertel wurde das Material genutzt. Und so dehnte sich die Grube innerhalb von 20 Jahren immer weiter aus und füllte sich mit Grundwasser. 1978 wurde der Abbau eingestellt, und 1983 übergab das Land Berlin den 33,7 Hektar großen See dem Bezirksamt Reinickendorf, das aufgrund einer Bürgerbeteiligung einen Teil der Nordseite durch Abflachung des Steilufers zur Badestelle herrichtete. Der südwestliche Bereich wurde als eingezäuntes Vogelschutzgebiet unter die Aufsicht des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) gestellt.

Wann hat die Arbeit der Naturschützer hier begonnen?

Das war 1982, als einige Naturschützer der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) die ökologisch wertvollen Bereiche des Flughafensees besetzten. Grund dafür waren bereits fortgeschrittene Pläne, die Tegeler Kiesgrube zu einem Freizeitpark umzugestalten. Ein Jahr später, am 8. Juni 1983, unterzeichnete der damalige 1. Vorsitzende des Deutschen Bundes für Vogelschutz, Dr. Hans-Jürgen Stork, den Pachtvertrag für das Vogelschutzreservat Flughafensee. Damit gründete sich auch die Arbeitsgruppe Flughafensee. Es ging uns darum, das Überleben möglichst vieler Arten zu sichern. Die Themen Artenschwund und Klimawandel waren damals schon aktuell und sind es heute umso mehr.

Was sind Ihre Aufgaben?

Unsere Arbeitsschwerpunkte sind im Winterhalbjahr die Biotoppflege, Reparaturarbeiten und Bestandserfassungen. Das Sommerhalbjahr dient der Information der Bevölkerung.

Wie ist die aktuelle Situation?

Aufgrund der Sparmaßnahmen durch das Land Berlin gibt es heute durch das Grünflächenamt nur noch sporadisch Unterstützung. Der NABU-Landesverband ist derzeit der einzige institutionelle Unterstützer der AG Flughafensee. Um den Mangel an Aktiven auszugleichen, werden mittlerweile einige Bereiche des Reservats beweidet. Diese Maßnahme wird von der Senatsverwaltung finanziert.

Welche Tiere kommen auf die Weide?

Bei den fleißigen Helfern handelt es sich um eine Herde Schafe, die die Heideflächen und Trockenrasengebiete an Land vor komplettem Zuwuchs schützen. 30 Tiere sind es in diesem Jahr.

Sie engagieren sich dafür, dass das Gebiet zum Naturschutzgebiet erklärt wird. Warum dauert das so lange?

Es ist einerseits die mangelnde Unterstützung durch den Bezirk und andererseits die umfangreiche Neuplanung auf dem inzwischen stillgelegten Flughafenareal, die uns als Arbeitsgemeinschaft vor schwere Aufgaben stellt. In der Umgebung des Sees sind umfangreiche Neubauprojekte geplant. Insbesondere das „Schumacher Quartier“ und das Projekt „Tegel Nord“ werden zukünftig für noch mehr Besucherverkehr am See sorgen. Die Ausweisung des Vogelschutzreservates als Naturschutzgebiet ist daher dringender denn je.

Was ist mit anderen Bereichen des ehemaligen Airports?

Geplant und hoffentlich bald umgesetzt wird auch die Unterschutzstellung großer Teile des Flughafens. Derzeit werden diese Flächen von der Grün Berlin GmbH verwaltet und betreut. Für die unzähligen Tier- und Pflanzen­arten wäre eine Ausweisung als Naturschutzgebiet von großer Bedeutung. Die Fläche des Reservats beheimatet neben rund 500 Pflanzenarten und 200 Vogelarten auch Insekten, Reptilien und Amphibien, viele stehen auf der Roten Liste.

Sie haben 2020 eine Petition gestartet. Was kam dabei heraus?

Der NABU Berlin startete die Petition zur Ausweisung des Vogelschutzreservats und der Tegeler Stadtheide als Naturschutzgebiet. Insgesamt 10.181 Stimmen wurden gesammelt und an die damalige Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz übergeben. Sie versicherte, dass die Gebiete als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden sollen. Sich auf einen genauen Zeitpunkt festlegen, wollte sie jedoch nicht. Mittlerweile ist das Gebiet – nicht zuletzt wegen der NABU-Petition – auf der To-Do-Liste der Naturschutzbehörde zwar nach oben gerutscht, auf die Ausweisung warten die Aktiven aber noch immer.

Werden Sie das runde Jubiläum feiern?

Nein, nach feiern ist uns nicht zumute. Auf die wichtigen Bojen vom Bezirksamt Reinickendorf zur Abgrenzung des Gebietes im Wasser warten wir noch immer. Im Allgemeinen zeigt der Bezirk sehr wenig Interesse. Naturschutz ist leider in Reinickendorf nicht so hoch angesehen. Im Vergleich dazu ist der Senat viel engagierter, kommt auch regelmäßig zu Besuch. Ich würde mir wünschen, dass auch aus Reinickendorf jemand Interesse zeigt und sich die Zeit für eine kleine Führung durch das Gebiet nimmt.

Was wünschen Sie sich darber hinaus?

Wir bräuchten dringend Helfer für die Pflegeeinsätze. Interessierte können sich gern bei mir melden. Telefon: 030-98608370.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview Christiane Flechtner

Frank Sieste vor einem Nistkasten für Wiedehopfe. Foto: fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.