Liebe Leserinnen und Leser der RAZ,
„Wir haben in Deutschland im Geburtslotto gewonnen“: Das sagte neulich die Journalistin Dunja Hayali, als sie den „Blauer Panther“-Ehrenpreis entgegennahm. Die Auszeichnung würdigt besondere Leistungen im Bereich TV und Streaming; Hayali wurde für ihre journalistische Arbeit – vor allem für ihr Engagement für Toleranz, Integration und eine demokratische Diskussionskultur – geehrt. Der Begriff „Geburtslotto“ machte mich auf Anhieb sehr nachdenklich, weil er viel damit zu tun hat, wie ich mich in diesen letzten Wochen des Jahres fühle, die wohl nicht nur bei mir von einer gewissen inneren Einkehr geprägt sind. Wenn man auf unsere Welt blickt, über die mit dem Krieg in Gaza eine weitere Katastrophe hereingebrochen ist, fühlt man sich oft klein, macht- und hilflos, ja verzweifelt. Und wo ich mich in meinem Grußwort an Sie vor genau einem Jahr auf die grauenvolle Lage in der Ukraine und die der Geflüchteten bezog und die beiden Jahre zuvor auf die fatalen Auswirkungen der Pandemie, komme ich nun das vierte Mal in Folge mit Zeilen zu Ihnen, die sich zunächst als mit hängenden Schultern geschriebene lesen.
Sind sie aber nicht. Denn zurück zum Einstiegszitat: „Wir haben … gewonnen“ ist genau deshalb so bemerkenswert, weil es – gerade in dieser nochmals schwieriger gewordenen Zeit – einerseits ein Stück erleichternd ist. Ehrlich, was haben wir es hier, in unserer Situation, doch gut. Und wie dankbar sollten wir jeden einzelnen Tag dafür sein, dass der Zufall uns in diese unsere Nordberliner Heimat geführt hat? Mit Gesundheitsversorgung und sozialen Absicherungsmechanismen. Und vor allem mit Frieden vor unserer Tür. Und andererseits schließt sich sogleich ein weiterer Gedanke, daraus resultierend, an: Womit haben wir das eigentlich verdient? Es ist nämlich, wie Dunja Hayali sagt, Lotto. Einfach nur Glück. Darüber mag sich mancher Simpel freuen und anderen, die es weit schlechter treffen, ein „Pech“ an den Kopf werfen und sich abwenden. So tun es ignorante Menschen, wie sie etwa „spazieren gehen“ oder sich bei Wahlen – trotzig – gegen die Grundwerte der Demokratie stellen.
Für mich erwächst aus dem „Lotto-Gewinn“ vor allem Verantwortung. Wer, wenn nicht wir, kann weiter helfende Hände ausstrecken? Reinickendorf hat in den letzten schwierigen Jahren bewiesen, was diesbezüglich in ihm steckt. Lassen Sie uns nicht nachlassen. Lassen Sie uns füreinander und für andere da sein und einstehen. Unsere Redaktionen werden auch weiter den Blick dorthin lenken, wo genau das gelebt wird, wo hilfreiche Ideen und Projekte verwirklicht werden und man mit Herz und Hand anpackt, um unsere Kieze zu bereichern. Das ist es, was auch der Lokaljournalismus kann und muss: sich starkmachen für Mitmenschlichkeit, Integration und Demokratie. Hängende Schultern lassen sich nämlich wieder straffen – die beste Medizin heißt: Rückgrat.
Ihnen allen ein besinnliches Weihnachtsfest
und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Auf Wiederlesen in 2024!
Ihr Tomislav Bucec
Herausgeber