RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Eine Frau im Rollstuhl, umringt von vielen Menschen.
Das Team von „Laib und Seele“ schenkte Gudrun Bertram vor der Abreise eine Dose mit guten Wünschen und Taschengeld für die USA. | Foto: fle

Nicht immer nur Berlin, sondern erstmals New York

Die Reinickendorfer Handbikerin Gudrun Bertram flog zum Marathon in die USA

Reinickendorf/New York – Es ist Dienstag, der 31. Oktober, als Dr. Gudrun Bertram wie jeden Dienstagvormittag in die Ausgabestelle Laib und Seele der Berliner Tafel an der Klemkestraße 65 kommt. Die Reinickendorferin hilft hier regelmäßig, wenn die Ausgabe von Lebensmitteln stattfindet. Dass sie an diesem Tag überrascht werden soll, ahnt sie jedoch noch nicht. Es ist noch ruhig in der Ausgabestelle, die Türen für Kundinnen und Kunden noch verschlossen, als die Reinickendorferin in ihrem Rollstuhl durch den großen Raum rollt, um sich an den Tisch zu begeben, an dem sich die Kunden registrieren und zahlen können, um Lebensmittel mit nach Hause zu nehmen.

Berlin-Marathon schon öfter absolviert

Doch an diesem Tag herrscht unter den anderen Helferinnen und Helfern große Anspannung und Vorfreude. Es liegt fast ein aufgeregtes Knistern in der Luft. „Wir haben eine Überraschung für Gudrun, die wir ihr heute überreichen möchten“, sagt Ines Schenk, eine der beiden Organisatorinnen der Ausgabestelle. Eine runde silberne Dose mit weißen Sternen „wartet“ nur darauf, den Besitzer zu wechseln. Ines Schenk verrät: „Gudrun liebt Marathons und hat den Berliner Marathon mit ihrem Handbike schon viele Male absolviert. Doch in der nächsten Woche geht es für sie nach New York, wo sie am 5. November auf Staten Island mit ihrem Handbike starten wird.“ Genau genommen, hat die Reinickendorferin bereits 16 Marathons in Berlin durchfahren – in diesem Jahr kam sie nach 2:58 Stunden ins Ziel. „Das war allerdings nicht der Schnellste“, erinnert sie sich. Beim schnellsten Marathon hatte sie die 42,195 Kilometer schon nach 2:42 hinter sich gebracht.

Vom Rollstuhl-Rugby Richtung Marathon

Seit nunmehr 26 Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Ihre Leidenschaft für Marathons hat sie durch ihren zweiten Mann entdeckt. „Mein Mann hat auch im Rollstuhl gesessen und lange Zeit Rollstuhl-Rugby gespielt – und er ist dann im Alter von 80 Jahren seinen ersten Marathon gefahren“, erklärt sie mir. Das habe sie dann angesteckt und seitdem nicht mehr losgelassen. Dabei spielt sie auch noch Rollstuhl-Tischtennis und war noch im Herbst beim Liga-Spiel in Hamburg. Als die Helferinnen und Helfer sie nun an diesem Vormittag in die Mitte nehmen, ist Gudrun Bertram sichtlich gerührt: „Wir geben Dir auf Deine Reise ein paar kleine Überraschungen und Wünsche mit auf den Weg“, sagte Ines Schenk zu ihr und überreichte ihr unter lautem Applaus die Dose.

Von Söhnen begleitet und unterstützt

Gudrun Bertram mit ihrem Sohn. Sie zeigt nach dem Marathon stolz ihre Medaille. | Foto: Bertram

Am 3. November ist es dann soweit: Die Reinickendorferin steigt in den Flieger nach New York – im Beisein ihrer zwei Söhne, die sie auch organisatorisch unterstützen. Bei bestem Marathonwetter geht es dann am 5. November los – als einzige Handbikerin Deutschlands: Start ist traditionell in Fort Wadsworth auf Staten Island. Anschließend rollt die Handbikerin durch die Stadtteile Brooklyn, Queens und die Bronx. Am Ende geht es durch die Hochhausstraßen Manhattans bis in den Central Park ins Ziel. „Es hat alles super geklappt und war eine tolle Erfahrung“, sagt sie im Ziel. „Nur die verdammten Brücken brachten mich fast zur Verzweiflung. Meinen Sohn hatte ich bei der Organisation Achilles International als Guide anmelden können. Darum konnte er im Start- und Zielbereich dabei sein. Mein zweiter Sohn begleitete mich mit Ehefrau und seinem zweijährigen Sohn entlang der Strecke.“

Bilanz: „Einfach grandios!“

Auch wenn sie mit 3:42:24 Stunden deutlich langsamer war als in Berlin, war der New York Marathon ein besonderes Highlight für die 70-Jährige. Ihr Fazit: „Es war einfach grandios!“ Und schon steht die nächste Anmeldung an – für den Berlin-Marathon im Herbst 2024. „Wir alle ziehen den Hut vor Dir Gudrun, eine tolle Leistung“, sagt Ines Schenk abschließend.

Und bis dahin wird Gudrun Bertram wieder regelmäßig in der Ausgabestelle von Laib und Seele aushelfen.

fle

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.