RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Gert Pätzold und das Abwassersystem in der Cité Guynemer – Foto: bs

Das Erbe der Franzosen

Cité Guynemer: Stau in den alten Abwasserrohren

Tegel – Gert Pätzold feierte vergangenes Jahr seinen 80. Geburtstag. Dafür hatte er viele Gäste über das Wochenende in sein Haus in der Cité Guynemer eingeladen. Am Freitag vor seiner Feier staute sich einmal wieder das Abwasser im maroden Kanalsystem aus der Zeit der Franzosen. Die automatische Rückstauklappe fiel, damit das aufgestaute Abwasser nicht in seinen Keller laufen konnte. So geschah es früher vor dem Einbau der Klappe immer wieder. Der Nachteil der Prozedur ist schnell dargelegt. Kein Abwasser konnte aus seinem Haus über das Geburtstagswochenende abgeleitet werden. Seine Gäste fuhr er zum Besuch der öffentlichen Toiletten in die Hallen am Borsigturm. Repariert wurde dann am Montag. 

Pätzold kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Er hat in seinem Berufsleben als Bundeswehroffizier viel erlebt. Aber aufregen kann er sich über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), von der er sein Haus und das Grundstück im früher von den französischen Alliierten genutzten Gelände nördlich des ehemaligen Flughafens Tegel im Jahr 2000 gekauft hatte: „Ich traue der BImA nicht über den Weg“. Ob sie den Knall nicht gehört hat? Immerhin donnert es seit vielen Jahren in der Cité Guynemer. Etliche öffentliche Anhörungen gab es, initiiert vor allen Dingen von dem SPD-Abgeordneten Jörg Stroedter. 

Mit etwa 30 anderen Nachbarn klagte Pätzold erfolgreich dagegen, dass die BImA aus ihrer Verantwortung für die missliche Abwassersituation entlassen wird. Die Berliner Wasserbetriebe haben mehrfach schon Hilfe geleistet, aber grundsätzlich können sie sich erst um das System kümmern, wenn die Straßen in die öffentliche Hand kommen, „gewidmet“ werden. Das ist nicht passiert, obwohl das damals – nach Auskunft von Pätzold – beim Kauf deutlich von der BImA in Aussicht gestellt worden sei. Im Kaufvertrag heißt es: „Sobald die Privatstraßen des Bundes als öffentliche Straßen gewidmet sind, gelten die gesetzlichen Vorschriften.“ Das ist bisher nicht geschehen. Also bleibt die BImA für das in die Jahre gekommene Erbe der Franzosen mit Abwasserrohren aus den 50er Jahren, die kreuz und quer unter den Grundstücken verlaufen, zuständig.

In den vergangenen Jahren ist in diesem Gebiet viel neu gebaut worden. Die Belastung des veralteten Abwassersystems mit Hebeanlage stieg. Die RAZ hat mehrfach über die Situation berichtet. Pätzold erzählt, dass ein Kunde für eine neugebaute Eigentumswohnung aufgrund der Artikel in der RAZ vom Kauf zurückgetreten sei. Besonders schwierig sei es, wenn starke Regenfälle Druck auf die öffentliche Kanalisation in der Seidelstraße ausüben. Dann komme das alte Hebewerk der Franzosen kaum gegen diesen Druck an und das Abwasser staue sich in dem Wohngebiet. 

Aber warum werden die Straßen denn nicht „gewidmet“, damit die Wasserbetriebe ein zeitgemäßes System aufbauen können? Seit vielen Jahren wird dazu auf Bezirksebene diskutiert. Reinickendorf müsste viel Geld in die Hand nehmen, um die Straßen auf einen modernen Stand zu bringen. Schon vor Jahren sagte das Bezirksamt auf Anfrage der RAZ, dass die Straßen „völlig überaltert“ seien und sich „in einem desolaten Zustand“ befinden. Eine Übernahme der Straßen wäre mit einer „nicht abschätzbaren finanziellen Belastung für den Bezirk verbunden“. 

Daran scheint sich nichts geändert zu haben. Pätzold hatte zu Zeiten des Bezirksbürgermeisters Frank Balzer (CDU) beklagt, dass der sich nicht genügend um die Situation kümmerte. Seinen Worten nach habe sich die aktuelle Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) bisher in diesem Gebiet und zu diesem Thema auch nicht blicken lassen. Ein ganz besonderer Rückstau in Berlin.

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.