Die heruntergekommene Fassade eines Gebäudes
Die Decke ist weg, der Blick frei auf den historischen Festsaal. Foto: fle

Ein Juwel wird wachgeküsst

Festsaal schlummerte unentdeckt über Geschäft

Tegel – Ein Juwel ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Ein Festsaal kam im Eckgebäude Buddestraße/Grußdorfstraße zutage, nachdem man die Decke des ehemaligen „Mäc-Geiz“-Geschäfts entfernte. Zuvor ließen nur die drei roten zugemauerten Bogenfenster erahnen, was sich hier, im ersten Stock, einmal befand: Hier, in Trapp’s Festsälen, tanzen und feierten und verliebten sich die Menschen zur Jahrhundertwende. Üppiger Stuck und große Säulen lassen auch heute noch erahnen, wie prunkvoll der Saal vor mehr als einem Jahrhundert ausgesehen haben muss.

Der Tegeler Bauunternehmer Valtink ließ das große Gebäude 1901 bauen und vermietete große Bereiche an den Gastwirt Wilhelm Trapp, der an dieser Stelle „Trapp“s Festsäle“ eröffnete. „Im neu erbauten Prachtsaal jeden Sonntag Großer Ball bei gut besetztem Orchester. Anfang 4 Uhr, Entree 10 Pfennig“, pries der Wirt seinen Saal in einer Anzeige an. Doch dann kam der Erste Weltkrieg, und der Betrieb wurde eingestellt.

Von außen deuten die Fenster auf den Saal hin, Foto: fle

Leben kam erst wieder 1919 „in die Bude“,  als der der neue Eigentümer des Eckhauses Fritz Joschek dem im Gebäudeflügel gelegenen Festsaal in ein Lichtspieltheater umbauen ließ – mit Bauabnahme am 5. November 1919. Der Filmpalast Tegel hatte im Parkett 456 Sitz- und 62 Stehplätze sowie im Rang mit Balkon weitere 155 Sitzplätze. Die Stummfilme wurden mit Musikuntermalung vorgeführt, unter anderem von der Borsigwalder Klavierspielerin Frau Gerhard. Ihr Verlobter begleitete sie oft auf der Bassgeige. Die Zuschauer konnten die beiden Musiker durch einen an der Leinwand-Bühne angebrachten Spiegel spielen sehen. Ab und zu gab es auch Stromausfall. Die Kino-Maschinen hätten stillgestanden, doch Joschek setzte einen russischen Scheinwerfer ein, den er mit U-Boot-Öl antrieb und einen extremen Gestank in Tegel verbreitete.  

1934 entstand die Vereinigte Lichtspiel Tegel GmbH. Wilhelm Werner und Fritz Joschek betrieben gemeinsam die Kinos „Filmpalast“ und „Kosmos“ in Tegel sowie den „Filmpalast Hennigsdorf“. Im Oktober 1965 lief der letzte Film – der Saal wurde Discount-Selbstbedienungsladen, später ab 1979 Edeka-Markt und in den vergangenen Jahren eine Filiale von Mäc-Geiz.

Die Eigentümer zogen eine Zwischendecke ein – und der gesamte Saal fiel in einen 58-jährigen Dornröschenschlaf. Doch nun ließ der neue Eigentümer die Zwischendecke entfernen – und der Saal kam zum Vorschein. Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner teilt die Begeisterung über den Fund und erklärt im Namen des Bezirksamtes: „Wir sind uns mit dem Eigentümer einig, dass dieser Saal in der ursprünglichen Gestalt dauerhaft erhalten und öffentlich zugänglich gemacht werden muss. Erste Gespräche mit Denkmalschutz und Bauaufsicht haben bereits stattgefunden.“ Bezirksstadträtin Korinna Stephan machte sich vor Ort ein Bild und erörterte künftige Nutzungsmöglichkeiten. 

Eigentümer ist nun seit mehr als zehn Jahren Hamid Djadda. Ihm gehört auch die Avus-Tribüne, für deren Sanierung und Rettung er den Berliner Denkmalpreis, die Ferdinand-von-Quast-Medaille, erhielt. Der neue Mieter, Boxprofi Ali Ak, plant, in den Räumlichkeiten ein Trainingscenter einzurichten. „In den kommenden Wochen sind Termine zwischen Eigentümer, Architekten und Bezirksamt geplant, um eine Balance zu finden zwischen einem wirtschaftlich tragfähigen Konzept und dem gemeinsamen Wunsch zum Erhalt dieses denkmalwürdigen Ortes mit seiner hohen Strahlkraft für den Ortsteil“, heißt es in der Pressemitteilung des Bezirksamtes.

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.