Ein Mann steht auf einem Weg, umgeben von Rasen. In der Hand hält er ein DIND A 3 großes Blatt mit abgebildeten Häusern.
Foto: fle

Verhinderung von Einfamilienhausneubau

Rechtswidrige Verordnung bringt junge Baufamilien in große Schwierigkeiten

Frohnau/Bezirk – Die Wohnungsnot ist groß in Berlin – und nicht nur Neuberliner sind verzweifelt auf der Suche. Und steht eine Wohnung zur Vermietung, ist die Schlange der Interessenten lang. Umso unverständlicher ist, dass es im Fuchsbezirk hunderte Einfamilienhäuser gibt, die unbewohnt und im desolaten Zustand sind, aber dennoch stehen bleiben und verfallen. Einziehen kann dort niemand mehr. Die Wände, Geschossdecken, Dach und Fenster sind nicht isoliert, die Ölheizung ist kaputt und manchmal wurde auch gefährlicher Asbest oder Formaldehyd verbaut, insbesondere bei den Fertighäusern der 1960er und 1970er Jahren. Wer einmal durch die Straßen Frohnaus läuft, wird immer wieder solche leerstehenden Häuser entdecken. Doch warum reißt man sie nicht ab und macht Platz für neuen Wohnraum? Die alten Häuser würden abgerissen und durch energieeffiziente Häuser ersetzt – in Anbetracht der Wohnungsnot und der Klimaziele eigentlich das Gebot der Stunde.

Marodes Einfamilienhaus (Foto: Dirk Wohltorf)

Hürden für den Abriss alter Häuser

Der Frohnauer Immobilienmakler und Präsident des Immobilienverband IVD, Dirk Wohltorf erklärt die Situation: „In Berlin darf Wohnraum nur abgerissen werden, wenn der Erwerber auch neuen Wohnraum schafft. Das ist durch die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung geregelt. Diese Verordnung mit dem so sperrigen Namen ist im Kern grundsätzlich richtig, denn bei der Wohnungsknappheit soll nicht einfach jemand Wohnraum abreißen, um dann das Grundstück leer stehen zu lassen – und darauf zu spekulieren, es in ein paar Jahren wieder teuer zu verkaufen.“ Ursprünglich sollte mit dem Gesetz die Ferienvermietung und die Umnutzung von Wohn- in Gewerbe verhindert werden.

Neubau nur mit strengen Auflagen möglich

Der Grundgedanke ist also seiner Ansicht nach richtig: Es gibt eine Abrissgenehmigung nur im Zusammenhang mit einem Neubauantrag. Das neugebaute Haus muss mindestes so groß wie das Abrisshaus sein. „Was im Bezirk Reinickendorf allerdings anders als in vielen anderen Berliner Bezirken daran gekoppelt ist, dass im Falle einer möglichen Vermietung des neugebauten Einfamilienhauses nur eine Höchstmiete von 9,17 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche vereinbart werden darf, abgesichert für den Bezirk im Grundbuch (bis April 2024) bzw. seit einigen Wochen vereinbart durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Baufamilie und Bezirksamt. Das bricht vielen Eigentümern das Genick, denn in Anbetracht der höchsten Bauvorgaben in Europa und der daraus resultierenden hohen Baukosten müsste die Kostenmiete mehr als doppelt so hoch sein. Die durchschnittlichen Mieten für Bestandseinfamilienhäuser liegen in Frohnau bei 15 bis 20 Euro pro Quadratmeter“, sagt Wohltorf. Und: Einfamilienhäuser fallen ganz bewusst nicht unter die Regulierung des Berliner Mietspiegel, weil Parameter wie Grundstücksgröße, Keller, Garage und Außenanlagen immer individuell betrachtet werden müssen und Einfamilienhäuser nicht der sozialen Wohnraumversorgung dienen sollen.

altes, abbruchreifes Haus - Innenansicht mit einem riesigen Haufen alten Bauholzes
Außen pfui … innen auch (Foto: Dirk Wohltorf)

“Moderne Erpressung”

Vom Bezirksamt Reinickendorf erhält man aktuell aber nur eine Abrissgenehmigung, wenn man die 9,17 Euro Höchstmiete akzeptiert. „Das ist moderne Erpressung. Entweder die neuen Eigentümer unterschreiben den Vertrag, indem sie sogar ein Verzicht der späteren Einrede bei Nichtigkeit der Regelung unterschreiben müssen oder sie dürfen das alte Haus nicht abreißen und nicht neu bauen. Durch die besagte Regelung in der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung wird allein in meinem Heimatbezirk Reinickendorf der Neubau von mehreren Dutzenden neuen Einfamilienhäusern be- und manchmal sogar verhindert obwohl sowohl das Berliner Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht die Höchstmiete von 9,17 Euro für klar rechtswidrig entschieden haben. Manche Grundstücke mit sehr alten Häusern sind praktisch nicht vermittelbar, weil auch Banken keine Finanzierung gewähren, wenn eine etwaige Miete die Finanzierung nicht im Ansatz decken kann. 

Ein altes Einfamilienhaus
Das Abrisshaus der Familie Angersbach in Frohnau (Foto: fle)

Ein Beispiel aus der Praxis

In einer solchen Misere steckt derzeit auch eine junge Familie aus Mitte: Das Ehepaar Angersbach möchte mit seinen beiden kleinen Kindern hinaus ins Grüne ziehen – und hat im September 2023 ein ruhiges Grundstück mit einem kleinen Abrisshaus in Frohnau gekauft. „Wir wollen in eine ruhige Umgebung umziehen“, erklärt Bärbel Angersbach. „Diese ist in Berlin schwer zu finden und wir waren froh, dass wir das Grundstück kaufen konnten.“ Schon jetzt zahlt das Ehepaar jeden Monat einen vierstelligen Betrag an Zinsen für das neue Grundstück – zusätzlich zu den aktuellen Kosten der Wohnung, in der sie leben. „Aus diesem Grund haben wir es auch eilig, mit dem Bau zu beginnen.“

Ein langwieriger Prozess

Doch das Prozedere zermürbt die Familie: Wenn sie die Baugenehmigung erhält, kann der öffentlich-rechtliche Vertrag aufgesetzt werden. Hat die Familie diesen unterschrieben, kann die Abrissgenehmigung erteilt werden. Diese muss wiederum dem Bauamt vorgelegt werden, und erst danach kann mit dem Abriss begonnen werden. „Wir hatten es so verstanden, dass das neue Prozedere diesen Vorgang einfacher machen soll, das scheint uns aber nicht so zu sein“, sagt die zweifache Mutter. „Wir sind frustriert, weil alles so lange dauert und wir gerne schon gestartet hätten. Wir fühlen uns der Bürokratie des Landes Berlin ausgeliefert. Die Mitarbeitenden der Zweckentfremdungsstelle sind schwer zu erreichen und, soweit wir wissen, auch an keine Fristen gebunden. Dies erschwert es auch, den Zeitpunkt des Abrisses zu planen. Wir haben noch keinen Stein gebaut oder abgerissen – und die Bürokratie ist immens und für uns teuer. Wir verstehen auch nicht, dass dies so kompliziert ist vor dem Hintergrund, dass ja unbestritten Wohnraum fehlt und wir Wohnraum schaffen wollen. Aktuell werden aber an der Schaffung von Wohnraum behindert – obwohl wir gemäß Bebauungsplan und Frohnauer Erhaltungsverordnung bauen wollen, also genau nach den Vorschriften.“ Den Vertrag mit dem Bezirksamt und der darin festgeschriebenen Mietpreisobergrenze von 9,17 Euro pro Quadratmeter, bereite ihnen Bauchschmerzen. Denn sollte etwas Unvorhergesehenes in den nächsten Jahren geschehen, können sie in den nächsten Jahren das Haus nur mit erheblichem finanziellem Verlust, der auch zur Privatinsolvenz führen kann, vermieten oder verkaufen. 

Oberverwaltungsgericht sieht Vorschrift als rechtswidrig an

Dabei hat das Oberverwaltungsgericht bereits mit dem Urteil vom 23. Mai 2023 – also bereits vor mehr einem Jahr – diese Vorschrift mangels Gesetzgebungskompetenz für klar rechtswidrig erklärt. Und so haben verschiedene Bezirke, unter anderem die Einfamilienhausbezirke Spandau, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf, diese Vorschrift bereits außer Kraft gesetzt. Dort zählt: Wenn ein altes Haus abgerissen wird und durch ein neues, größeres Einfamilienhaus ersetzt wird, ist dem Gesetz genüge getan. Das Bezirksamt Reinickendorf sieht das anders und besteht auch im Mai 2024 weiterhin auf die Vereinbarung einer Höchstmiete von 9,17 Euro.  

Forderung nach Anpassungen

Nicht nur die Familie Angersbach, sondern auch Wohltorf hofft darauf, „dass der Berliner Senat die rechtswidrige Mietobergrenze streicht. In wenigen Wochen hat er einen Termin beim Regierenden Bürgermeister. Denn: Hierfür bedarf es keines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens. Eine Änderung der Verordnung durch den Bausenator oder den Regierenden Bürgermeister reicht“, Einfamilienhäuser haben in dieser Verordnung einfach nichts zu suchen, stellt er klar. Kürzlich habe er ein langes Gespräch mit der Bezirksbürgermeisterin gehabt: „Sie sucht nach Lösungen, das ist schon mal sehr gut. Ich hoffe, dass nun nach Spandau, Pankow, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg auch der Fuchsbezirk folgt und bauwilligen Familien den Wunsch und Weg zum selbstgenutzten Einfamilienhaus freimacht. Erst recht, wenn der Altbau Schrott ist.“

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.