Amtsarzt Patrick Larscheid ist sauer: Anfang April ist es in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge auf dem ehemaligen Flughafen Tegel zu einem Masernausbruch gekommen. Für Larscheid sei dieses Infektionsgeschehen „komplett vermeidbar“ gewesen.
Größter Masernausbruch in Deutschland seit 2013/14
Die 700 Asylbewerber, die in Tegel untergebracht sind, seien auf ihre Immunität untersucht und im Bedarfsfall geimpft worden. Die 3.600 Flüchtlinge aus der Ukraine haben rechtlich einen anderen Status und wurden nicht untersucht. „Wir haben ständig gemahnt“, sagt Larscheid, aber die „Verantwortlichen haben sich gedrückt“. Bis zum Ausbrechen der Masern. Erst dann wurde untersucht und geimpft. „Zu spät“, sagt Larscheid. Das sei der größte Masernausbruch in Deutschland seit 2013/2014 gewesen. 60 Erkrankte seien bisher in Tegel gezählt und ein Isolationsbereich sei aufgebaut worden. Acht Patienten mussten in Kliniken behandelt werden. Der Amtsarzt warnt, dass besonders erkrankte Kinder auch lange nach dem Ausbruch und der Behandlung noch gefährdet seien. Statistisch gesehen, komme ein Todesfall auf tausend Erkrankungen. Das könne auch erst nach sechs oder sieben Jahren der Fall sein. In Tegel sei allerdings noch kein Erkrankter gestorben.
Ankunftszentrum “nicht menschwürdig”
Das Gesundheitsamt, dem Larscheid vorsteht, sei in Tegel in Gesundheitsfragen immer wieder „als Feuerwehr“ unterwegs. Die Zusammenarbeit mit dem DRK sei gut, die Organisation übernehme die Erstversorgung. Der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes werde häufiger angefordert. Nach den Worten von Larscheid seien dort „Drogen, Sucht, Gewalt“ anzutreffen. Das alles werde begünstigt durch die „Art und Weise, wie die Flüchtlinge dort leben“. Er spricht vor allen Dingen die Enge an. Und: Unter der Brücke über den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal habe sich ein regelrechter Drogenmarkt etabliert. Im Ganzen nennt Larscheid die Gemeinschaftsunterkunft einen „gruseligen Ort“. Nur die „vielen engagierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ halten das alles am Laufen; die seien aber zunehmend „total desillusioniert“. Die Flüchtlinge müssten „besser integriert“ werden, das sei “nicht menschenwürdig”. Er fasst zusammen: „Die Gemeinschaftsunterkunft Tegel muss weg.“ Und: „Alles ist besser als Tegel“.
Interview mit Patrick Larscheid
Wie beurteilen sie die Situation der ukrainischen Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft Tegel?
Die Situation in Tegel ist so, dass niemand von uns dort länger wohnen wollte. Es handelt um eine große Zeltunterkunft. Es gibt sehr wenige Angebote für Freizeitgestaltung und Zerstreuung. Auch sind keine ausreichenden Schulangebote vorhanden und zu wenige Kitaplätze.
Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus?
Die medizinische Basisversorgung ist sichergestellt. Darüber hinaus dauert es sehr lange, bis die ukrainischen Flüchtlinge mit einer Gesundheitskarte versorgt sind, die die Voraussetzung zur Nutzung des deutschen Gesundheitssystem ist. Sie verstehen das deutsche Gesundheitssystem im Regelfall nicht, und es gibt heftige Sprachbarrieren.
Anfang April gab es einen Masernausbruch. Wie ist die Situation zurzeit?
Der Masernausbruch hält an. Wir haben noch immer neue Erkrankungen, so dass wir noch von einem bestehenden Ausbruch sprechen müssen. Gleich nachdem der erste Masernfall auftrat, hat das Gesundheitsamt die dort lebenden 4.300 Menschen auf ihre Immunität untersucht. 1.700 aus dieser Gruppe wurden dann geimpft. Dennoch waren wir zu diesem Zeitpunkt einfach zu spät dran.
Woran lag das?
Dieser Masernausbruch wäre komplett vermeidbar gewesen. Man hat leider bis zum Beginn des Ausbruchs nicht darauf geachtet hatte, dass ein ausreichender Impfschutz in dieser Gemeinschaftseinrichtung besteht.
Warum ist darauf nicht geachtet worden?
Weil es sich bei den Menschen, die aus der Ukraine kommen, nicht um Asylbewerber handelt. Sondern formaljuristisch um Menschen, die einen Status zugeordnet werden, der nicht dazu verpflichtet, sie in einer Gemeinschaftsunterkunft nach ihrem Immunitätsnachweis zu fragen und im Bedarfsfall zu impfen. Dieser Umstand ist von allen Fachleuten immer wieder kritisiert worden. Für Infektionskrankheiten und ihre Verbreitung ist nicht die formaljuristische Einordnung entscheidend, sondern die medizinische Notwendigkeit, zumal in einer solch monströsen Gemeinschaftseinrichtung wie Tegel. Trotz entsprechender Mahnungen ist das ignoriert worden, und dann kam es zu diesem großen Ausbruch. Wir sind darüber sehr verstimmt. In der Fachwelt war man national wie international sehr überrascht, dass so etwas in Berlin passieren konnte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Beitrag und Interview: Bertram Schwarz