So laut ist es selten in der Kamekestraße. Hier wird das Demonstrieren geübt. Vor allem die Kinder mit den Trillerpfeifen haben ihren Spaß. Der Mann auf dem Pritschenwagen versucht das Geschehen zu lenken, kann sich aber auch mit dem Megafon kaum Gehör verschaffen. Mit „Ruhe!“ und „Es reicht!“, versucht er die Nachwuchsdemonstranten darauf hinzuweisen, dass es nicht nur um Krach gehe, sondern auch um ein Anliegen. Doch das Anliegen schwindet kurz vor der Demonstration dahin. Viel Lärm um nichts?
„Nein, keineswegs“, sagt Kristin Schöppe, Leiterin der nahen Kreativfabrik, die die Demo organisiert hat. Ursprünglich wollten sie mit dem Protest dagegen aufbegehren, dass der Bezirk eine neuerliche „temporäre Spielstraße“ verhindert habe. Letztmalig war im vergangenen September die Kamekestraße für vier Stunden autofrei und konnte für vielfältige Nachbarschaftsaktivitäten genutzt werden. Damals lobten die Verkehrssenatorin und die Bezirksbürgermeisterin gleichermaßen das Konzept.
Alles so nicht gemeint?
Jetzt war der Eindruck entstanden, dass das Bezirksamt die Veranstalter „für alle Schäden am Straßenkörper und an Bestandteilen der Straße sowie für Körper-, Sach- und Vermögensschäden Dritter haftbar“ machen werde. Das hätte die Kreativfabrik mit ihrem Träger „Evangelischer Kirchenkreis Reinickendorf“ nicht riskieren können und ist bei ähnlichen Projekten in anderen Bezirken so auch unüblich. Doch kurz vor der Demonstration sickert durch, dass der Bezirk das so alles nicht gemeint habe.
Auf Nachfrage der RAZ spricht Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) von „internen Kommunikationsschwierigkeiten – die doch mal passieren können!“ Sicher. Der Sprecher des Bezirksamtes legt in einer Mail nach: „Das Bezirksamt bedauert die entstandenen Irritationen und die Art der Kommunikation zwischen den Partnern.“ Schöppe nunmehr vollends irritiert: „Mit mir hat keiner gesprochen.“ Sie ist jedoch erleichtert, dass die nächste Spielstraße am 18. Juli nun ohne strenge Haftungsverpflichtungen geplant werden kann. So wird an dem Tag von 14 bis 18 Uhr die Kamekestraße wieder für den Autoverkehr gesperrt und es wird Platz für bunte Veranstaltungen entstehen.
Demo auf der Kamekestraße
Trotz der Kehrtwende des Bezirksamtes will sich Schöppe das Demonstrieren nicht verleiden lassen. Dann sei das hier eben „eine pädagogische Anleitung in Demokratiebildung“. Dazu gehöre das Demonstrationsrecht. Die vielen Kindern sind einverstanden. Die Frage an einen Jungen mit Trillerpfeife zwischen zwei Atemzügen, ob ihm das Spaß mache: „Jaaa“, sagt er und lacht über das ganze Gesicht. Auch der SPD-Bezirksverordnete Sascha Rudloff kann sich am Rande des Geschehens ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Bestimmungen mit den strengen Haftungsauflagen seien für „gewerbliche Veranstaltungen, nicht aber für solche mit bürgerschaftlichem Engagement“. Ein Schelm, wer vermutet, da habe jemand im Rathaus zum falschen Formular gegriffen.
Nun setzt sich der Demonstrationszug in Gang. Vorn ein Polizeiauto mit Blaulicht für die paar Dutzend Übungsprotestler. Zwei Beamten und eine Beamtin haben ein Auge auf die angemeldete Demo. Die Polizeibeamtin ist gut aufgelegt und kommentiert den Lärm der Kinder: „Wie bei einer richtigen Demonstration.“