Der Waldfriedhof Frohnau im hohen Norden Berlins strahlt allein durch seine Lage am Stolper Feld direkt an der Grenze zu Brandenburg eine besondere Ruhe aus. Kaum jemand würde ahnen, dass sich vor 70 Jahren quer durch diese Idylle ein politischer Konflikt zog. Der Kalte Krieg führte nicht nur zur Teilung Berlins, sondern mit Verspätung auch zu einer unmarkierten Grenzlinie zwischen dem Eingangsbereich an der Hainbuchenstraße und dem nördlich gelegenen Teil des Friedhofs. Im Juni 1952 reklamierten die Sowjets das kleine Areal für sich. Zwar war das Grundstück einst von der Gemeinde gekauft worden, doch meinten die sowjetischen Alliierten, ein Grundstückserwerb würde nicht zwangsläufig die Verschiebung der Stadtgrenze nach sich ziehen – und erhielten mit dieser Auffassung recht. Dadurch entstand auf dem Friedhof eine Art Niemandsland, das zwar weiterhin betreten werden konnte, auf dem jedoch zwei Jahrzehnte lang keine Beerdigungen mehr stattfanden. Erst als im Juni 1972 die im Jahr zuvor beschlossene „Vereinbarung zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und dem Senat über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietsaustausch“ vollzogen wurde, kam es zur kleinen „Wiedervereinigung“. Darin heißt es, „der nördliche Teil des Frohnauer Friedhofes einschließlich eines sich östlich anschließenden Gebietsstreifens ca. 4,1 ha“ gehört zukünftig zu den Westsektoren Berlins. Bei dem Deal, der unter anderem auch Gebiete bei Falkensee und Drewitz betraf, trat West-Berlin insgesamt eine Fläche von 15,6 ha ab und erhielt im Gegenzug 17,1 ha. Der geringfügige Zuwachs der eingemauerten Stadt wurde mit einer Zahlung von 4 Millionen DM an die DDR ausgeglichen.
Zur Gründung der 1910 eingeweihten Gartenstadt Frohnau legte der Landschaftsarchitekt Ludwig Lesser den Friedhof an. Sein Sohn Richard schrieb in der Zeitschrift Gartenschönheit: „Beim Waldfriedhof muss die Aufteilung in den vorhandenen Baumbestand hineinkomponiert werden.“ Diese Aufgabe ist seinem Vater auf besonders schöne Weise gelungen. Ebenso geglückt ist die 1911 eingeweihte Kapelle, die sich nicht zuletzt durch ihre Elemente nordischer Stabholzkirchen in die besondere Atmosphäre des Waldfriedhofs einfügt. Deren Architekt Carl Stahl-Urach, der von 1879 bis 1946 lebte, schuf den Sakralbau im damals aufkommenden Heimatstil, der Frohnau noch heute so stark prägt. Er war auch für den Umbau des legendären „Hauses Vaterland“ verantwortlich, sogar an einigen Filmen wirkte er künstlerisch mit, so etwa beim Stummfilm „Dr. Mabuse“ des Regisseurs Fritz Lang.
Nur einige Meter von der Kapelle entfernt verweist ein stattlicher, jedoch schlicht gestalteter Grabstein auf Paul Poser und seine Familie. Der Baumeister gehört zu jener Handvoll von Architekten, die das Erscheinungsbild der Gartenstadt Frohnau maßgeblich mitgestalteten. Dass aus der Turnhalle für eine Mädchenschule ein Vierteljahrhundert später ein katholisches Gotteshaus werden sollte, nämlich die heutige St. Hildegard Kirche, konnte er bei der Planung nicht ahnen. Auch über Frohnau hinaus finden sich nach Posers Entwürfen erbaute Häuser – eines der herausragendsten Beispiele in Reinickendorf ist sicherlich die Villa Stöwer in der Gabrielenstraße 68, nicht weit entfernt vom Tegeler See. In Glienicke Nordbahn schuf er das Rathaus.
Ein weiterer Architekt, der auf dem Friedhof liegt, ist der 1888 geborene Walter Krüger, der ebenfalls in Frohnau seine Spuren hinterließ. Zu seinen markantesten Gebäuden in Berlin gehört zweifellos die Spanische Botschaft im Tiergarten an der Rückseite des Zoos. Die Villa wurde 1938 von ihm gestaltet. Er verstarb 1971. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder, mit dem er zusammenarbeitete, wurde auf dem Friedhof Heerstraße beigesetzt.
Das einzige Ehrengrab des Friedhofs liegt am östlichen Rand und ist so unauffällig, dass es nicht leicht zu finden ist. Für den Schriftsteller Hermann Hesse war Oskar Loerke„ein heimlicher König der modernen avantgardistischen Dichtung“, dem er deutlich mehr Anerkennung gewünscht hätte: „Man kann ohne Übertreibungen sagen, daß das Volk der Dichter und Denker in Loerke wieder einmal eine Begabung und einen Charakter höchsten Ranges unerkannt, ungenutzt und ungeehrt hat leben, arbeiten und sterben lassen.“
1978, also 37 nach seinem Tod 1941, wurde Loerke immerhin jenes Ehrengrab gewidmet und nach Ablauf der Frist von 20 Jahren auch verlängert. Doch im Anschluss daran wollte der Senat die Ehrung auslaufen lassen. Das führte allerdings zum Widerstand von Kulturschaffenden. Das PEN-Zentrum forderte, das Ehrengrab beizubehalten, denn Loerke sei „ein bewundernswerter Lyriker von großer Sprachkraft, dessen bildhafte Sprache den Leser auch heute noch berührt“.
Durch einen engen Freund, den Dichter Wilhelm Lehmann, wurde dem Frohnauer Friedhof ein lyrisches Denkmal gesetzt – mit dem Gedicht „Auf sommerlichem Friedhof – in memoriam Oskar Loerke“, in dem es heißt:
„Der Rosenduft begräbt dein Grab.
Es könnte nirgend stiller sein.
Der darin liegt, erschein, erschein!“
Auch Künstler aus der Welt der Musik ruhen hier. Der 1909 geborene Werner Kelch war unter anderem Regisseur an der Deutschen Oper Berlin. Neben seiner Arbeit für die Bühne erreichte er ein großes Publikum durch seine Opernproduktionen fürs Fernsehen mit dem Startenor Rudolf Schock. Sein Sohn, Jan Kelch, der 2017 starb, liegt ebenso auf dem Friedhof in Frohnau begraben. Der 1939 geborene Rembrandt-Spezialist war Direktor der Berliner Gemäldegalerie zu der Zeit, als ein großer Teil der Sammlung 1998 eine neue Heimat im gerade erbauten Kulturforum fand, was er als „bewegendes Erlebnis“ beschrieb.
Durch den schwungvollen, aber schwer zu entziffernden Schriftzug springt der Grabstein von Hanns, eigentlich Johannes, Nocker ins Auge, den die Inschrift als Kammersänger ausweist. Er kam 1926 als fünfzehntes Kind einer Bergarbeiterfamilie zur Welt und machte als Tenor international Karriere, blieb aber vor allem seinem Stammhaus der Komischen Oper treu. Deren Intendant Walter Felsenstein schuf mit seiner Inszenierung der Jacques-Offenbach-Operette„Ritter Blaubart“ eine Paraderolle für Nocker, die der Sänger viele Jahre lang auf der Bühne verkörperte und die auch als Film festgehalten wurde. In der Felsenstein-Reihe, die das Babylon-Kino in Mitte zeigt, ist Nocker in drei der sechs Opern zu sehen und vor allem zu hören – in „Hoffmanns Erzählungen“, ebenfalls von Offenbach, und in Verdis „Othello“.
Nocker starb 1992; seine Ehefrau, die 1936 in Wien geborene Schauspielerin Edith Elmay, überlebte ihren Mann um 28 Jahre und wurde 2021 neben ihm beigesetzt. Mit einer kleinen Rolle im farbenfrohen Kostümfilm „Skandal in Ischl“ begann 1957 ihre Karriere; sie spielte an der Seite von Publikumslieblingen wie Horst Buchholz, Hans Moser und Karlheinz Böhm. Im Lustspiel „Immer die Radfahrer“ mit dem Komiker Heinz Erhardt war sie neben Peter Kraus und Inge Meysel zu sehen.
Der 1990 verstorbene Schauspieler Ernst Wilhelm Borchert kam 1907 in Rixdorf zur Welt. Er schrieb 1946 Filmgeschichte im Nachkriegsklassiker „Die Mörder sind unter uns“, in dem er die männliche Hauptrolle an der Seite von Hildegard Knef spielte. „Sauerbruch – das war mein Leben“ von 1954, „Hunde, wollt ihr ewig leben“ von 1959 und „Jeder stirbt für sich allein“ von 1976 gehören zu den herausragenden Filmen seiner Karriere. Den belanglosen bunten Heimatfilmen entzog er sich, indem er in ernsthaften Stücken auf der Bühne glänzte. Am Anfang seiner Laufbahn spielte er an der Volksbühne und am Deutschen Theater, später viele Jahre lang am Schillertheater. Selbst wer sein Gesicht nicht kennt, hat vermutlich schon einmal seine Stimme gehört, denn er hat eine Vielzahl von Hollywood-Stars synchronisiert, darunter John Wayne, Rock Hudson, Charlton Heston und Richard Burton.
Am eindrucksvollsten präsentieren sich die Grabmale der Unternehmerfamilien, wie jenes des Metallwarenfabrikanten Richard Lohmann mit der Skulptur einer Trauernden. Die letzte Ruhestätte des Glühlampenfabrik-Gründers Josef Plechati flankieren vier Säulen im Halbrund; seine Villa befand sich am Fürstendamm, musste inzwischen jedoch Neubauten weichen. Hermann Schoenings Grabstein ist zwar vergleichsweise schlicht gestaltet, fällt aber allein durch seine Größe ins Auge. Seine seit 1900 auf Bohrer spezialisierte Fabrik eröffnete 1915 ein Werk in Borsigwalde, wo die dort errichtete Halle ganz arbeitnehmerfreundlich für einen „lichten, luftigen und angenehmen Aufenthalt“ sorgen sollte. Das Produkt Radial-Bohrmaschinen zog er zum Firmennamen Raboma zusammen.
Wie auf den meisten Friedhöfen wird auch der Gefallenen gedacht und das gleich an zwei Stellen: Opfer des Ersten Weltkriegs liegen auf einer Fläche westlich der Kapelle begraben und auf einer Freifläche hinter der Kapelle erinnert ein Stein an die Toten des Zweiten Weltkriegs. Insgesamt 339 Kriegsopfer fanden ihre letzte Ruhe auf dem inzwischen denkmalgeschützten Gelände.
Pionier der Landschaftsarchitektur
Der 1869 geborene Architekt Ludwig Lesser hat die großzügigen Grünflächen am Zeltinger und Ludolfinger Platz angelegt. Auch der Vorplatz des S-Bahnhofs Hermsdorf geht auf seine Planung zurück, ebenso der Platz vor dem Palais am Funkturm.
Von 1913 an lehrte er auch als Dozent für Gartenkunst und Gartenbau an der Freien Hochschule Berlin. Er setzte sich für Grünanlagen ein, die nicht nur dem Auge etwas bieten, sondern zugleich Bereiche für sportliche Betätigung bereithalten sollten.
Die Nazis erteilten Lesser Berufsverbot, so emigrierte er 1939 nach Schweden, wo sein Sohn Rudolf wohnte. Sein ältestes Kind Richard orientierte sich am Vater und arbeitete für ihn als Gartenarchitekt in dessen Planungsbüro in Steglitz. Die Liebe zur Landschaftsarchitektur vererbte sich weiter: Ludwigs Urenkelin Katrin Lesser erhielt 2013 gemeinsam mit ihrem Mann den Europa Nostra Award, der als höchster Europäischer Denkmalpreis gilt.
Die Deutsche Gartenbaugesellschaft, die Lesser 1933 aus dem Amt als Präsident entlassen hatte, erklärte ihn 70 Jahre später posthum zum Ehrenpräsidenten. Von den drei Straßen in Brandenburg, die nach ihm benannt sind, liegt eine in Hennigsdorf hinter der Bahnstation.
Ein Star der Sternenkunde
Robert Henseling wurde am 19. Oktober 1883 in Hameln geboren und wuchs in Dresden auf. Sein „Sternbüchlein“, ein astronomischer Kalender, kam so gut an, dass darauf weitere Publikationen folgten. Mit populärwissenschaftlichen Werken brachte er den Laien die Sterne nahe. 1921 gründete er den Bund der Sternenfreunde, aus dem 1952 die Vereinigung der Sternenfreunde wurde, die bis heute besteht und über 4000 Mitglieder zählt. Ebenfalls ab 1921 brachte er die Zeitschrift „Die Sterne – Zeitschrift für alle Gebiete der Himmelskunde“ heraus, die 1997 mit dem Konkurrenzblatt „Sterne und Weltraum“ fusionierte. Ein Verkehrsunfall führte zu seinem Tod am 1. April 1964. Zu seinen Ehren wurde der Asteroid (27710) Henseling nach ihm benannt. Seinen Grabstein auf dem Frohnauer Friedhof ziert ganz schlicht der bloße Nachname.