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Das Bild zeigt einen Mann und eine Frau in weiße Hemden vor einem Regal voller Pralinen-Verpackungen
Die Sawade-Inhaber Melanie und Thomas Hübel vor dem Weihnachtssortiment. Foto: bs

Pralinen mit Lokalstolz

Sawade stellt in Reinickendorf 500 verschiedene Schokoladenspezialitäten her

Beim Gang durch die Pralinen-Produktion, erzählt Melanie Hübel, blieb sie stehen und sah sofort: „Die ist ja viel zu flach“. Ein neuer Mitarbeiter hatte nicht lange genug gewartet, „bis die Füllung anzieht“. Sie redete mit ihm und zeigte ihm wie es richtig geht. In der Praline ist fein geriebener und gerösteter Ingwer, der mit Wodka abgeschmeckt wird und umhüllt ist von Zartbitterschokolade. Dekoriert wird mit weißer Schokolade. Alles von Hand gemacht. Nur der Alkohol wird als Konservierungsmittel zugelassen. Melanie Hübel und ihrem Mann Benno Hübel gehört die Pralinen-Manufaktur „Sawade“. Sie kennen ihr Geschäft von der Pike auf.

Pralinen aus Reinickendorf: Tradition trifft Innovation

In einem schmucklosen Gewerbebau in der Wittestraße werden nach alten Rezepten die Köstlichkeiten hergestellt. Neben den vielen hundert Traditionsrezepten werden immer wieder neue ausprobiert. 500 verschiedene Schokoladenspezialitäten sind derzeit im Angebot. In der Vorweihnachtszeit ist Hochsaison. Etwa 40 Prozent des Umsatzes werden in den Wochen vor Heiligabend erlöst. Die zweitwichtigste Zeit ist Ostern. Aber das seien nur zehn Tage. Jetzt ist die Zeit von Weihnachtskugeln und Adventskalender gekommen. Der Kalender wird jedes Jahr neu von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet.

Die „Mistelzweig-Edition“ als festlicher Klassiker

Der Klassiker ist die „Mistelzweig-Edition“. Kleine runde Schachteln mit vier Pralinen oder ein großer runder Karton mit 30 Süßigkeiten. Auch viereckig werden die „Mistelzweig-Pralinen“ ausgeliefert. Alle diese Pralinen sind ohne Alkohol. Besonders stolz ist das Eigentümer-Ehepaar Hübel auf die Sawade Weihnachtstorten, die „seit Generationen die besten Zutaten, besonders viel Handarbeit und eine außergewöhnliche Expertise bei der Herstellung“ verlangen. Hier ist Alkohol mit im Spiel.

Von der Gründung bis heute: 150 Jahre Sawade

Sawade schaut auf eine bewegte Geschichte von beinahe 150 Jahren zurück. 1880 wurde die Manufaktur von Ladislaus Maximilanus Ziemkiewicz im Zentrum Berlins „Unter den Linden“ gegründet. Im Ladengeschäft wurde hinten produziert und vorne verkauft. Der Gründer hatte zuvor in Paris Konfektmacher gelernt. Namensgeberin soll die Witwe Madame Marie de Savadé gewesen sein, die in Berlin in der Nachbarschaft gewohnt habe. Melanie Hübel merkt an, dass diese Dame Ziemkiewicz „offenbar inspiriert hatte“. Worin die Inspiration genau lag, sei nicht überliefert.

Tradition trifft Moderne: Sawade überlebt Krisen

Die Pralinen müssen so gut gewesen sein, dass es sich bis zur Majestät herumgesprochen hatte. Sawade wurde „königlicher Hoflieferant“ und durfte diesen Titel im Wappen führen. Dieses habe eine durchaus „florierende Wirkung“ gehabt. 1933 stirbt Ziemkiewicz. Die Manufaktur wurde von Georg Hanemann übernommen. Der wollte nicht für die „oberen 10.000“ da sein und erweiterte die Zielgruppe. Bomben zerstörten im 2. Weltkrieg die kleine Fabrik. Die Pralinen wurden weiter in anderen Hinterzimmern hergestellt. Anfang der 60er Jahre kaufte die Familie Spengler die Manufaktur. Die Geschäftsadresse wechselte nach Reinickendorf in die Wittestraße, wo die Firma heute noch ansässig ist und produziert.

Neustart unter neuer Führung

2013 gab es einen deutlichen Knick in der Erfolgsgeschichte von Sawade. Thomas Spengler musste Insolvenz anmelden. Ehepaar Hübel bekam vom Insolvenzverwalter letztendlich den Zuschlag. Benno Hübel spricht von einem harten Wettbewerb, der sich um die Weiterführung des traditionsreichen Betriebes entspann. Sie konnten damit überzeugen, die Geschichte an gleichem Ort mit gleichen Produkten fortsetzen zu wollen. 39 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernahmen sie. Heute sind es 90 – 60 davon arbeiten in Reinickendorf. Die andern 30 arbeiten über die Stadt verstreut in den Filialen. Mit dem Werksverkauf in der Wittestraße sind es mittlerweile zehn Verkaufsstellen. Weitere sollen hinzukommen. Auch in ihrem Webshop können die Köstlichkeiten bestellt werden.

Innovation trotz Herausforderungen

Benno Hübel kommt aus Freiburg. Vor seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre hat er im Interconti in Berlin Koch gelernt. Aus seiner ursprünglichen Heimat kenne er mehr „Lokalstolz“. Er sei dringend dafür, Unternehmenstraditionen auch in Berlin mehr zu pflegen. Überall, wo der Schriftzug „Sawade“ auf Produkten auftaucht, steht auch das Wort „Berlin“. Er will, dass Berlin nicht nur für Currywurst steht und ist mit seiner Frau stolz auf das eigene Unternehmen, das sie mittlerweile seit mehr als zehn Jahren führen. Nach der ersten Insolvenz mussten sie das Unternehmen aus einer Art Dornröschenschlaf wecken. Gerade als sie das geschafft hatten, kam die Corona-Pandemie.

Ein Betrieb meistert die Krise

Nichts lief mehr und sie hatten noch nicht genügend Finanzreserven, um diese Krise zu überstehen. Nach Ostern 2020 mussten sie viel Ware wegwerfen, die nicht verkauft werden konnte. Finanzhilfen vom Staat hätten sie nicht bekommen. Eine zweite Insolvenz war der Ausweg, die sie dann aber selbst meisterten. Im Jahr 2021 bekamen sie ihr Unternehmen wieder auf Kurs. Den aktuellen Umsatz geben sie sehr ungefähr mit 5 bis 10 Millionen Euro an. Ein Gewinn werde erwirtschaftet.

Fortschritt durch Blindenschrift und Vielfalt

Nicht nur bei den Produkten entwickelt sich das Unternehmen weiter. Auch bei der Aufmachung gibt es Fortschritte. Melanie Hübel ist zuständig für das Marketing. Seit neuestem haben die meisten Verpackungen Erklärungen in Blindenschrift. Das sei einmalig in ihrer Branche, sagt sie.

Süße Zukunft: Mitarbeiter gesucht

Während des Gespräches stehen Pralinen auf dem Tisch, von denen Benno Hübner zwei isst. Seine Lieblingspralinen seien die mit Vanille. Melanie Hübel präferiert Pistazie-Nougat. Sie wirken zufrieden. Ob es noch Wünsche gebe. Ja, sie suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Süßwarentechnologen, Konditoren, Köche, Mechatroniker. Auch Auszubildenden eröffnen sie gern ihre süße Welt.

Link-Tipp: www.sawade.berlin

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag aus dem neuen RAZ Magazin (Ausgabe 06/24).

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Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.