Hermsdorf – Seine Bücher sind bekannt und vielfach verfilmt worden. Ob „Emil und die Detektive“ oder „Das doppelte Lottchen“ – Kinder sind mit ihnen groß geworden. Auch „Drei Männer im Schnee“ ist vielen als Buch oder Film bekannt. Weniger bekannt ist sein Leben. Kästner-Kennerin Marianne Mielke bringt Licht ins Dunkel und gibt auf Stadtspaziergängen besondere Einblicke über den Schriftsteller, der auch einige Zeit am Waldsee lebte.
Auf Spurensuche durch Hermsdorf
Start des Spaziergangs ist am Museum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35. Marianne Mielke biegt mit ihren Zuhörern gleich rechts ab auf einen Weg zum Fließ. „Es gibt viel zu erzählen über den Mann, der am 23. Februar seinen 126. Geburtstag feiern würde“, erklärt die 61-Jährige, die als Autorin, Übersetzerin und Stadtführerin arbeitet. Dazu gehöre, wie er aus seiner Heimatstadt Dresden nach Berlin kam, wie politisch er war und wie er die Zeit des Nationalsozialismus überstand. Aber dazu gehöre auch das Verhältnis zu den Frauen – und seine Zeit in Hermsdorf. Das Haus in der Parkstraße 3a ist das Ziel unseres Spaziergangs, denn hier hat Kästner von 1964 bis 1969 zeitweilig gewohnt.
Eine frühe Begegnung mit Kästners Werken
Wir nehmen Platz auf der ersten Bank am Fließ – und die Stadtführerin beginnt zu erzählen: „Mein Vater ist mit uns Kindern oft in die Amerika Gedenkbibliothek gegangen. In der Kinder- und Jugendabteilung habe ich Bekanntschaft gemacht mit Kästners Kinderbüchern – angefangen von ‚Emil‘ bis zum ‚35. Mai‘, meinem Lieblingsbuch.“ Dadurch, dass sie heute als Stadtführerin tätig ist – unter anderem mit einer Tour zu den Orten von „Emil und die Detektive“ im Zentrum Berlins – habe man sie gefragt, ob sie auch eine Tour zu Kästner in Reinickendorf machen könnte. „Und hier bin ich!“
Vom Journalisten zum gefeierten Autor
Geboren ist Kästner 1899 in Dresden, in Leipzig hat er Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert. „Dort hat er für die Neue Leipziger Zeitung geschrieben, wurde allerdings im Beethoven-Jahr 1927 nach Verfassen des erotischen Gedichts „Abendsinfonie eines Kammervirtuosen“ entlassen – und als Kulturkorrespondent nach Berlin entsandt. Er zog nach Berlin-Halensee in die Roscherstraße 16, schrieb bald für verschiedene Zeitungen als freier Mitarbeiter – und hatte Erfolg. Schon bald schrieb er auch für die Zeitung „Der Montag Morgen“ Gedichte. „Anhand dieser Montagsgedichte sieht man, dass Kästner ein hochpolitischer Mensch war“, erklärt Mielke.
Ein kritischer Beobachter seiner Zeit
1932 habe er mit anderen Schriftstellern dazu aufgerufen, nicht die Nazis zu wählen. Auch in seinem Roman „Fabian“, der unter anderem im Wedding zur Zeit des „Blutmai“ 1929 spielt, ging er kritisch mit den Nationalsozialisten um. Nach einem Schreibverbot schrieb er unter Pseudonym weiter. Unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ entstand für die Ufa-Filmkunst das Drehbuch für den Film „Münchhausen“. Ab 1943 hatte er totales Berufsverbot, doch schrieb er ein geheimes Kriegstagebuch, das viel über einen Lebensabschnitt preisgibt. Einige Male ist er von der Gestapo verhaftet worden, und seine Bücher – unter anderem „Fabian“ und seine Gedichtbände – wurden bei den Bücherverbrennungen 1933 verbrannt.
Ein Leben zwischen zwei Frauen
Als seine Wohnung in Halensee ausgebombt wurde, zog er zu seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle in die Sybelstraße – beide flohen im März 1945 nach Tirol. Mit ihr lebte er später in München. „Doch Luiselotte war nicht die einzige Frau in seinem Leben“, weiß Mielke. „Kästner war attraktiv und hatte viele Frauen, aber nur eine hat er wirklich geliebt – und das war die Schauspielerin Friedel Siebert.“
Wir laufen weiter und bleiben vor dem stattlichen Haus in der Parkstraße stehen. „Kästner führte zeitweilig ein geheimes Doppelleben und hatte mit Friedel einen Sohn – den 1957 geborenen Thomas. Die Beziehung blieb nicht unentdeckt. „Für Luiselotte war es eine schwierige Situation, da sie Kästner gern geheiratet und mit ihm Kinder gehabt hätte“, sagt die Stadtführerin.
Die geheimen „Doppelschätze“
Friedel Siebert bezog mit ihrem Sohn 1964 eine Wohnung des Hauses am Waldsee, und hierher kam Kästner regelmäßig zu Besuch. „Er nannte Mutter und Kind ‚seine Doppelschätze‘“, erzählt Mielke. Friedel Siebert sei seine große Liebe gewesen, doch konnte er Luiselotte nicht verlassen, weil er Angst um sie hatte, sie könne sich etwas antun. Friedel und Kästner trennten sich 1969. Mutter und Kind zogen in die Schweiz, Kästner zurück nach München.
Sein Buch „Briefe an die Doppelschätze“ erschien erstmals 1977 unter dem Titel „Briefe aus dem Tessin“, die Kästner während seiner Kur an Friedel Siebert und Sohn Thomas schrieb. Für Thomas verfasste er auch seine beiden letzten Kinderbücher „Der kleine Mann“ und „Der kleine Mann und die kleine Miss“.
Termine für die Kästner-Führungen
Die Kästner-Führungen finden am 15. Mai, am 19. Juni, am 24. Juli und am 28. August jeweils von 14 bis 16 Uhr statt. Der Eintritt ist frei. Treffpunkt ist am Museum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35. Um Anmeldung per Mail unter museum@reinickendorf.berlin.de oder Tel. 902 94 64 60 wird gebeten.