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Ein Mann vor einem Beet
Foto: bs

Ganz ohne DIN-Vorschriften

Auf dem ehemaligen Flughafen Tegel wird die „Schwammstadt“ der Zukunft erprobt

Ludwig Löffler-Dauth ist ein kräftiger Mann, der gern starke Worte nutzt, um seine Pläne zu erklären. Bei Tegel Projekt auf dem ehemaligen Flughafengelände ist er zuständig für alles, was mit Wasser zu tun hat. Im noch zu bauenden Schumacher Quartier mit 5.000 Wohnungen will er ganz anders mit dem kostbaren Nass umgehen als sonst in Berlin: „Keine Regenwasserkanalisation, keine Gullys, keine Leitungsreparaturen.“ Er verspricht: „All das entfällt.“ Das Wassermanagement in der Zukunftsstadt solle nicht nur zur „totalen Aufenthaltsqualität“ führen, sondern auch kostengünstiger sein.

Studiert hat er das in dem Land, in dem man in Europa am meisten von Wasser, Kanälen und Deichen versteht. In Wageningen in den Niederlanden wurde er zum Ingenieur ausgebildet. Nach dem Studium war er zunächst für ein halbes Jahr in Äthiopien und hat Mini-Staudämme gebaut. Gelernt hat er da viel, vor allen Dingen: „Der Klimawandel kommt und ist brutal.“ Löffler-Dauth schwört auf Verdunstungstechniken, die das Leben vor allem in der Stadt angenehmer machen können.

Auf natürlichen Flächen wie Wäldern und Parks verdunsten 83 Prozent des Regenwassers, etwa 15 Prozent versickern und nur 2 Prozent werden abgeleitet. Das sei der „Idealzustand“. Auf einer stadttypisch versiegelten Fläche würden 90 Prozent des anfallenden Wassers in der Kanalisation verschwinden, nur 10 Prozent könnten verdunsten und fast nichts würde versickern. Dabei sei es für das „lokale Mikroklima“ so wichtig, das Wasser auf der Fläche zu halten. 

Zunächst nehme der Boden das Wasser auf. Von dort werde es an die Pflanzen geleitet, über die es verdunste. Dieser Vorgang entziehe der Luft Energie und senke die Temperatur um ein bis eineinhalb Grad. Der Ingenieur mit den klaren Worten vergleicht den Vorgang mit einem Ventilator, über den ein nasses Handtuch gelegt werde. Die Verdunstung erzeuge einen kühlen Luftstrom. Das alles erklärt Löffler-Dauth am Rande seiner beiden Versuchsbeete (Foto), die mitten in der Mondlandschaft des auseinander gerupften Flughafens angelegt worden sind.

Dort arbeiten gerade die Gärtnerin Katrin Borowski und der Landschaftsarchitekt Leonard Hess. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität Berlin, mit der Löffler-Dauth von Tegel Projekt eng zusammenarbeitet. Hess erläutert die Pflanzen und Böden, die auf ganz natürliche Weise die Kanalisation ersetzen sollen. Das sei eine typische „Grabenvegetation“ mit Färberginster, hohem Mädesüß und gewöhnlichem Beinwell. Die untere Bodenschicht bestehe aus Baumsubstrat, darüber Staudensubstrat. 

Diese Kombination speichere viel Wasser und gebe es an die Pflanzen weiter. Spannwände mit Plastikbahnen simulieren Häuserwände, die Wind abhalten und Schatten spenden. Solche Beete sollen das Herzstück der künftigen „Schwammstadt“ bilden. Der Begriff veranschaulicht sehr gut die Funktionsweise. Das Regenwasser wird dort, wo es niederfällt, wie von einem Schwamm aufgesogen und steht den Pflanzen zur Verfügung. 

Die Beete sollen im Schumacher Quartier entlang der Straßen entstehen. Sie werden in kleinen Stufen angelegt und sorgen dafür, dass das Wasser wie in einer Kaskade von oben nach unten abfließt. Nach den Worten von Löffler-Dauth sei das ein natürlicher „Überlauf“. Doch bei immer häufiger auftretenden Starkregenereignissen werde das nicht reichen. Im Zentrum des geplanten Wohngebietes sei ein „Quartierspark“ geplant, in dem sich das Wasser „bis zu 30 Zentimeter einstauen“ könne, um dort zu versickern. 

Das alles solle ein „Leuchtturmprojekt“ für ganz Deutschland werden, um zu zeigen, wie moderne Innenstadtbezirke in Zukunft gebaut werden müssten, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen. Löffler-Dauth richtet sich zu voller Größe auf und sagt: „Das müssen wir durchkämpfen.“ Als Ingenieur arbeite er normalerweise „zu 99 Prozent nach vorgegebenen Regeln“. Aber hier gebe es noch keine DIN-Vorschriften – und genau das scheint ihm besondere Freude zu bereiten. 

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.