Eine kleine Bewegung mit dem Taktstock – und die Töne der Instrumente erfüllen den Probensaal. Die rund 100 Musikerinnen und Musiker haben Tarmo Peltokoski genau im Blick, achten auf jede noch so kleine Nuance des jungen finnischen Dirigenten. Sie proben Wagners „Ring des Nibelungen“. Was leise und behutsam beginnt, wird zu einem echten Gänsehaut-Moment, als das komplette Orchester einsetzt und die verschiedenen Töne der Instrumente in einem atemberaubenden Klang den Raum füllen.
Sie haben lange gesucht und sind in Reinickendorf fündig geworden: Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) hat auf dem Areal der Wilhelm Hallen an der Kopenhagener Straße 72A sein neues Probenquartier bezogen. Zwischen 1898 und 1918 vom Pankower Maurermeister Christian Friedrich Malingriaux entworfen und ab 1902 vom Architekten Hermann Streubel gebaut, befand sich hier eine Eisengießerei. Nun ist in einer der ehemaligen Klinkerbau-Industriehallen, die für die besonderen akustischen Anforderungen des Orchesters ertüchtigt wurde, ein außergewöhnlicher Ort für musikalische Arbeit und Begegnung entstanden.
Das Orchester hat eine lange Tradition: 1946 als RIAS-Symphonie-Orchester von den USA im Zuge der „Re-Education“ gegründet, setzte sich das DSO von Beginn an erfolgreich für die Wiederaufführung von Werken der von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkten Komponistinnen und Komponisten ein. Den tradierten Kanon zu sprengen, schrieb sich das Orchester, das 1956 in Radio Symphonie-Orchester Berlin umbenannt wurde und seit 1993 seinen heutigen Namen trägt, zu allen Zeiten auf die Fahnen. Im nächsten Jahr kann es auf 80 bewegte Orchester-Jahre zurückblicken.
Hinter dem DSO steht die Rundfunk Orchester und Chöre gGmbH (ROC), zu der auch der RIAS Kammerchor Berlin, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und der Rundfunkchor Berlin gehören. Die ROC übernimmt als Holding Managementaufgaben, die kein Klangkörper allein übernehmen kann.
Dazu zählt auch die Sorge für die Beschaffung und den Betrieb geeigneter Standorte und Räumlichkeiten für die Orchester und Chöre: „Bisher probte das DSO im ICC, das als Interimslösung diente, nachdem das Orchester 2020 seinen angestammten Probensaal im Haus des Rundfunks in der Masurenallee aufgrund einer Baufeldfreimachung verlassen musste“, erklärt Isabell Rauscher, Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der ROC. „Das ICC ist ein beeindruckender Standort mit dem authentischen Charme der 1970er-Jahre, aber leider auch mit einer ebenso alten technischen Infrastruktur, die eine Nutzung teuer und risikoreich macht. Insofern erfüllt es nicht die notwendigen Voraussetzungen, um dem Orchesterbetrieb des DSO dauerhaft gerecht zu werden.“
„Ein neues digitales Medienhaus sollte gebaut werden – und dort sollte auch das DSO einen neuen Probenstandort erhalten“, erinnert sich Benjamin Dries, der beim DSO die Leitung für Marketing und Kommunikation innehat. „Doch das war nach den Turbulenzen an der Spitze des RBB vom Tisch; die Suche begann also von Neuem – und diese war lang und aufwendig“. Schließlich muss der Standort für ein Orchester einige Voraussetzungen erfüllen – vor allem, was den Proberaum angeht. „Aus funktionaler Sicht zählt dazu ein Mindestvolumen, um klanglichen Anforderungen gerecht zu werden“, sagt Rauscher. Neben kleineren Probenräumen braucht es Flächen für die Verwaltung, Lagerraum sowie Ladeflächen mit Lkw-Zufahrt. „Insbesondere geht es darum, eine neue musikalische Heimat für das DSO zu entwickeln, und mit den Wilhelm Hallen haben wir einen Standort gefunden, der aufgrund seiner Architektur, des Betreiberkonzepts und der Mietergemeinschaft aus dem Kreativbereich neben den funktionalen Anforderungen auch ein bereicherndes Umfeld für das Orchester bietet.“
Auf einer Fläche von 2.000 Quadratmetern ist so ein „neues Zuhause“ für die zahlreichen Instrumente und Probenort für die rund 100 festangestellten Musikerinnen und Musiker und das 20-köpfige Management nach mehr als zweijähriger Suche gefunden worden. „Es handelt sich dabei um Musiker aus 19 Nationen – Musik verbindet, und wir leben tagtäglich Vielfalt und Diversität“, sagt Dries.
Was früher eine große durchgehende Halle war, wurde für das DSO neu strukturiert und ein Teil zum Probenraum umgebaut. „Hier wurde ein Raum-in-Raum-Konzept geschaffen mit speziellem Schallschutz und individueller Dämmung – einerseits damit kein Lärm von draußen hineinkommt und andere Mieter nicht beeinträchtigt werden, andererseits, um eine perfekte Akustik für das Orchester zu schaffen“, erklärt der Marketing- und Kommunikationsleiter. Nachgebessert werde die Akustik nun noch mit Schallsegeln, die – an der Decke aufgehängt – für eine Bündelung des Klangs sorgen. Zudem seien Büros, Lagerflächen und Räume für das Orchester-Archiv sowie diverse Einspielräume mit technischer Infrastruktur geschaffen worden.
Als das Orchester nun im März auf Europa-Tournee war, wurde der Umzug vollzogen – und nun proben die Musikerinnen und Musiker an der neuen Adresse im Fuchsbezirk. „Wir freuen uns sehr, hier zu sein, denn in die Wilhelm Hallen, das sich mehr und mehr zum Zentrum für Kreativschaffende entwickelt, passen wir als Orchester perfekt hinein“, fügt Dries abschließend hinzu.