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Junge Menschen hinter einem Ausstellungsstück
(v.l.): Stefan Eckert, Mikolaj Mozgawa, Robert Schmidt, Stefanie Stein und Maxi Hirthe Foto: bs

„Wir sind die Zweitzeugen“ 

Ausstellung in der Paul-Löbe-Schule über einen Besuch der Zehntklässler in Auschwitz

Reinickendorf – Eine Schülerin und zwei Schüler der 10. Klasse der Paul-Löbe-Schule haben eine Ausstellung organisiert, in der sie ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz zeigen. Zwei von ihnen haben das Lager in Polen persönlich besucht. Trotz der Belastung durch die Prüfungsphase zum Mittleren Schulabschluss (MSA) verarbeiteten sie ihre Eindrücke kreativ und präsentieren die Ergebnisse nun schulintern.

In einer geordneten Reihe warten Schüler und Schülerinnen der 9. Klasse vor dem Ausstellungsraum auf Einlass. An der Tür hinter einem Tisch sitzen Leonie Stein und Mikolaj Mozgawa (beide 16 Jahre alt) und fragen jeden nach dem Namen. Dieser wird auf ein Blatt Papier geschrieben und sofort zerrissen. Stattdessen erhält jeder eine Nummer, die an die Brust geheftet wird. Das Motto der Auschwitz-Ausstellung lautet: „Ab heute bist du eine Nummer“. Mikolaj trägt dabei eine schwarze, martialische Maske.

In der Ausstellung erwartet die Besucher und Besucherinnen ein Styropor-Modell des Vernichtungslagers Auschwitz. Stefanie Stein, Mikolaj Mozgawa und Stefan Eckert haben es gebaut. Ihre selbstgemalten Bilder hängen an den Wänden. Im Zentrum steht jedoch das Modell: schwarze Figuren, die offensichtlich die weißen Figuren beherrschen.

Einige weiße Figuren liegen blutüberströmt am Boden. Über dem grausamen Schwarz-Weiß-Szenario ragt der Schornstein des Krematoriums auf. Nur in einer Ecke ist ein grüner Fleck zu sehen, darauf ein farbiges Haus mit der Aufschrift „Familie Höß“. Maxi Hirthe und Robert Schmidt von der Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen begleiten das Projekt. Hirthe fragt in die Runde, was es mit der Familie Höß auf sich habe, und erklärt dann: Es war das Wohnhaus der Familie des Lagerkommandanten Rudolf Höß. Der Oscar-prämierte Film „The Zone of Interest“ hatte im vergangenen Jahr internationale Aufmerksamkeit auf eben diese Familie gelenkt. Hirthe fragt: „Was hat die Familie wohl mitbekommen in ihrer direkten Nachbarschaft?“ Die Antworten der Jugendlichen: „Das Arbeiten von Leuten“, „Schreie“, „Geruch nach verbrannten Menschen“. Hirthe fragt weiter: „Wie konnte die Familie das in dieser Umgebung genießen?“ Ein Jugendlicher antwortet: „Sie waren selber böse.“

Abschließend zeigt Mikolaj seine Collagen zum Thema „Entmenschlichung“. „Keine schönen Bilder“, sagt er selbst. Stefan präsentiert Bleistiftzeichnungen. Sie sind winzig. Eine zeigt die Verbrennungsöfen von Auschwitz. Leonie hat größere Bilder mit bunten Acrylfarben gemalt. Eines ist das Porträt der kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer. Die Sozialarbeiter Hirthe und Schmidt fassen zusammen: „Die Zeitzeugen sterben, wir sind die Zweitzeugen.“

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.