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Die Baugrube Märkisches Quartier bietet noch einen trostlosen Anblick. Foto: bs

Schlafen statt Planen an der Grube?

BVV beschäftigt sich mit dem Märkischen Quartier und den Sturmschäden

Bezirk – Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 9. Juli stand noch ganz unter dem Eindruck der Sturmschäden vom 23. und 26. Juni im Norden von Reinickendorf. Alle lobten die Einsatzkräfte und beschworen die Gemeinschaft im Bezirk in dieser Notlage (siehe dazu auch den aktuellen Podcast „RAZ aus’m Rathaus“). Noch war der Gesamtschaden kaum zu überblicken. Da dies die letzte Sitzung vor den Sommerferien war, werden das Thema und die kritische Aufarbeitung der Maßnahmen des Bezirksamtes sicherlich in der Septembersitzung wieder aufgegriffen. 

Aber es gab auch andere Themen. Die kürzeste Frage stellte die SPD-Verordnete Angela Budweg: „Wie ist der aktuelle Sachstand beim Märkischen Quartier?“ Die zuständige Stadträtin Korinna Stephan von den Grünen muss zu diesem Dauerthema immer wieder Stellung nehmen und hatte in der Februar-Sitzung launig von „unserer berühmten Grube“ gesprochen. Jetzt trat sie ans Rednerpult und versprach: „Meine Antwort wird etwas länger als die Frage sein.“

Seit dem 17. April sei der Bauantrag in der Prüfung. Sie könne verstehen, dass es für viele „unverständlich sei, dass ein Loch so lange bestehen kann“. Aber jetzt solle es vorangehen. Insgesamt fünf Häuser seien geplant mit 739 Wohnungen. Die Erdgeschosse sollen gewerblichen Zwecken vorbehalten bleiben. Insgesamt werde mit 22 Gewerbeeinheiten gerechnet. Die Tiefgarage soll 148 Stellplätze für Autos bereithalten. 

Ein „zentrales Element“ werde nach Auskunft der Stadträtin die Fassadenbegrünung. Auch solle das gesamte Quartier eine Fußgängerzone werden. Auf Nachfrage von Angela Budweg nach Plätzen und Brunnen sagte Korinna Stephan etwas verschmitzt, sie hätten sich ursprünglich eine italienische Piazza zum Vorbild genommen. Das werde man wohl „nicht ganz hinbekommen“, aber ein „zentraler Brunnenplatz“ sei vorgesehen. 

Die CDU-Verordnete Matea Krolo hatte eine ebenso kurze Nachfrage zu diesem Langzeitthema: Wann es denn nun mit dem Bauen losgehe. Stephan versicherte, dass das Bezirksamt „in einem Monat bereit“ wäre, sobald alle Unterlagen vorlägen. An der Baugrube ist an einer Wellblech-Sichtblende ein Plakat angebracht: „Märkisches Quartier – Wir planen weiter“. Jemand hat das Wort „Planen“ durchgestrichen und „Schlafen“ darübergeschrieben.

Für den Aufreger in der Sitzung sorgte ein weiteres Mal die FDP-Gruppe. Diesmal war es der FDP-Verordnete Andreas Otto, der seine Anfrage mit dem Titel garnierte: „Regenbogenfahne und der ‚Treppenwitz‘ des Bezirksamtes“. Die Anfrage selbst lautete: „Ich frage das Bezirksamt, ob es vor dem Rathaus Reinickendorf ein oder drei Fahnenmasten gibt?“ Nur Eingeweihte konnten damit etwas anfangen.

Es ging um das Hissen der Regenbogenflagge an einem der drei Fahnenmaste zum Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-  und Transphobie. Nach Auskunft der Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) habe es einen technischen Defekt gegeben und die Regenbogenflagge sei an diesem 17. Mai gegen 16 Uhr „zu Boden“ gefallen. Erst später wurde verfügt, dass dafür eine der beiden „hoheitlichen Flaggen“ (Deutschland- und Reinickendorf-Flagge) hätte niedergeholt werden dürfen, um die Pride-Flagge wieder zu setzen.

Die eigentliche Adrenalininjektion setzte die Bezirksbürgermeisterin, die in diesem Zusammenhang von einer „geradezu populistischen Wortwahl“ sprach (gemeint war „Treppenwitz“), die „jede Seriosität vermissen“ lasse. Daraufhin wurde auf Antrag vom FDP-Verordneten David Jahn der Ältestenrat einberufen, der eine Entschuldigung von Demirbüken-Wegner erwirken sollte. Dem stimmte der Ältestenrat nicht zu, die Sitzung wurde nach 20 Minuten fortgesetzt. 

Wäre das Thema „Sturm“ in dieser BVV nicht so ernst gewesen, hätte man durchaus auch von einem „Sturm im Wasserglas“ sprechen können.

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.