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Bitte aufbäumen statt nur aufräumen!

Unsere Kolumne von Melanie von Orlow

Dieser Sturm kam wahrlich zur Unzeit: Während sich die Anhänger des „Baumentscheids“ Ende Juli für mehr Bäume und Stadtgrün vor das Brandenburger Tor legten, fegten gleich zwei Stürme Ende Juni durch den Berliner Norden. Gewaltige Straßenbäume kippten und begruben Autos und Häuser unter sich – selbst der vom Diebstahl gebeutelte Belegstand des Imkerverein Reinickendorf-Mitte e.V. bekam nach dem großen Diebstahl Anfang des Jahres nun den Rest: Vier große Eichen begruben was da noch so über geblieben war. 

Für die Berliner Forsten ist es der größte Waldverlust seit Beginn der Aufzeichnungen – rund 35.000 Kubikmeter Holz sollen gefallen sein; darunter die 1795 gepflanzte „Burgsdorff-Lärche“, die mit 41 Metern einst zu den höchsten Bäumen Berlin gehörte.

Wer Heim und Werte durch einen Baumsturz verlor, wird sich vermutlich nicht sehr für den „Baumentscheid“ begeistern, der die Zahl der Berliner Straßenbäume um rund 300.000 Stück erhöhen will um gerade die weniger grüne Innenstadt besser zu kühlen. Dabei sind viele dieser Baumschicksale auch hausgemacht: Wer weiß schon, dass die meisten Straßenlinden nicht „wurzelecht“ sind, sondern tatsächlich „gepfropft“. Eine von 50 oder 60 Jahren auf eine „Unterlage“, der Wurzel, aufgesetzte Sommer- oder Winterlinde erreicht aber niemals die Standqualität einer aus dem Samenkorn gesprossenen Linde. Diese Pfropfungsstellen, oft auch jetzt noch als Verdickung im Stamm erkennbar, brechen unter Sturmlast schon mal eher. Meist braucht es aber auch nicht mal das: Viele Bäume wurden mitsamt Wurzelteller umgeworfen, und oft zeigt sich das traurige Bild eines „Tellerchens“, der da aus dem Pflaster gehoben wurde. Anstatt ein der Krone im Durchmesser etwa entsprechender Wurzelteller zeigt sich eher das Blumentopf-Phänomen: Eingezwängt zwischen Leitungen und Fundamenten, oft noch am Rand bei Baumaßnahmen oder verärgerten Nachbarn gekappt und durch Wassermangel, schlechte Böden und Hitze gestresst, erfüllt die verkümmerte Wurzel nicht mehr einen der wichtigsten Jobs eines Baumes. Unter Windlast dreht sich der Baum samt Wurzel und dahin gehen gewaltige Werte. Denn auch wenn Häuser, Zäune und Autos darunter begraben werden – sie sind in der Regel versichert und können repariert oder ersetzt werden. Der Baum jedoch ist verloren und wird, wenn überhaupt, nur wieder durch ein neues Bäumchen ersetzt, das viele Jahre brauchen wird, um überhaupt nur ins Gewicht zu fallen. Viele überstehen die Pflanzung auch nur für wenige Jahre, denn selbst mit bester Wässerung ist die alltägliche Misshandlung durch parkende Autos, Hundekot und winterliche Salzung kaum zu ertragen. Ökologisch wertvollere Pflanzungen wie die rund 20 Meter hohen Kiefern, die sich der Bundesnachrichtendienst 2014 für rund 17.000 € das Stück an seinem Neubau pflanzen ließ, leistet sich Berlin in der Regel leider nicht Die Berliner Forsten rechnen daher mit rund 100 Jahren, bis die Nachkommen im gleichen Maß für Sauerstoff, Artenvielfalt und Kühlung sorgen können. Daran wird auch der Baumentscheid wohl nichts ändern können.

Melanie von Orlow

Melanie von Orlow ist als Autorin, Biologin und Imkerin Teil des RAZ-Teams. Beim NABU Berlin engagiert sie sich für den Natur- und Artenschutz in der Stadt.