RAZ – Das Leitmedium für Reinickendorf.

ein mann und eine frau stehen vor plakaten
Anna Turré von der Volkshochschule Reinickendorf und der „Horizonterweiterer“ Gerd Pranger. Foto: bs

Spaß und ernste Gedanken

Gartenfest der VHS, Musikschule und Stadtbibliothek

Gerd Pranger wurde 1957 in Reinickendorf geboren. Seine Mutter bekam sieben Kinder. Lesen konnte sie nicht. Pranger guckt verschmitzt durch seine modische Brille: „Und ich habe mich so durch die Schule geschmuggelt.“ Lesen und Schreiben hat auch er nicht gelernt. Erst viel später, als er seiner Tochter vorlesen wollte, hat er sich wieder entschlossen, die Schulbank zu drücken. 

Zehn Jahre hat er nebenbei gepaukt. Jetzt hilft er bei der Volkshochschule (VHS) mit, andere zu ermutigen, sich zu ihrer Lese- und Schreibschwäche zu bekennen. Auf seinem T-Shirt steht: „Horizonterweiterer“. Beim Gartenfest der VHS, der Musikschule und der Stadtbibliothek im Kultur- und Bildungshaus „Am Fuchsbau“ in Frohnau ist er auch dabei.

Anna Turré von der VHS preist die Veranstaltung „Weltreise leicht gemacht: für Menschen, die langsam lesen oder denen lesen schwer fällt“ an. Es wird um das Thema „In 80 Tagen um die Welt“ in Buchform, als Comic, Film und Hörbuch gehen. Start ist am 29. September 17 Uhr im Fontane Haus. Sie fragt Pranger: „Du kommst doch auch?“. Trotz seiner späten Lernerfolge antwortet er verlegen: „Ich habe noch nie ein Buch gelesen.“ Aber dann sagt er zu. 

Die VHS hat insgesamt fünf Lehrstätten in Reinickendorf. Die VHS-Leiterin Stephanie Iffert ist auch auf dem Gartenfest in Frohnau und sagt über diesen Standort: „Das ist ein Juwel, auch wegen des Vintage-Charakters.“ Im Park hinter dem Kultur- und Bildungshaus sind Stände mit ganz verschiedenen Angeboten der Gastgeber aufgebaut. Einen Grill gibt es auch und die große Bühne, auf der gerade die beiden Clowns „Los Hobos“ mit Musik und Späßen vor allen Dingen die vielen Kinder unterhalten. 

Melanie Nagel von der Stadtbibliothek schätzt, dass 280 Gäste gekommen seien. Ihre Standnachbarin Viktoria Neumann von der Musikschule freut sich über das gute Wetter: „Heute morgen beim Aufbau hat es noch geregnet.“ Lange sei zudem nicht sicher gewesen, ob das Fest unter den hohen Bäumen wegen der Sturmschäden überhaupt stattfinden könne.

Besonderes Augenmerk galt bei den vielen Kulturangeboten dem ersten „Großen Festival der Musikschule Reinickendorf“, das noch bis zum 28. September stattfindet. Die Spielstätten sind über ganz Reinickendorf verteilt. Bezirksstadtrat Harald Muschner (CDU), der auch beim  Gartenfest dabei ist, freut sich im Vorwort des Programmheftes: „Ein besonderes Highlight sind unsere internationalen Gäste.“ Musik aus Bulgarien und den Niederlanden wird angekündigt.

Petra Lölsberg von der Stadtbibliothek informiert über einen Programmschwerpunkt, der ihr besonders am Herzen liegt. Mehrere Veranstaltungen handeln von dem Schicksaal der Russlanddeutschen hier. Lölsberg sagt: „Diese Community wollen wir erreichen.“ Die Menschen „wollen sich zwar integrieren“, seien aber immer wieder der Propaganda aus der alten Heimat ausgesetzt. 

Am 30. September findet dazu im Kultur- und Bildungshaus Frohnau ein Seminar mit Susanne Spahn statt mit dem Thema: „Das Russland-Netzwerk, wie der Kreml die deutsche Demokratie unterwandet“. Am 8. Oktober liest Ira Peter in der Humboldt-Bibliothek aus ihrem Buch: „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ (Siehe unser Beitrag auf Seite 17). 

Ernste Anregungen und immer wieder fröhliche Momente prägen das Gartenfest der VHS, Musikschule und Stadtbibliothek. Die Kinder ziehen derweil begeistert in einer Polonaise mit den „Los Hobos“ vorneweg quer über das Gelände und vertreiben schnell dunkle Gedanken.

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.