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Ein Notarztwagen verlässt die Feuerwache
Auch auf der Feuerwache Tegel wird das NEF abgeschafft. Foto: fle

Versorgungslücke bei Notfall?

Streichung von Notarztstandorten in Tegel und Hermsdorf

Bezirk – Ab 1. Januar wird es kein mit einem Notarzt besetztes Einsatzfahrzeug in der Feuerwache Tegel und Hermsdorf mehr geben. Die beiden Stützpunkte werden geschlossen. Stattdessen ist lediglich die Stationierung eines Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) in Wittenau vorgesehen. Doch Anwohner, vor allem in den Randlagen Reinickendorfs wie Frohnau, Heiligensee und Konradshöhe, befürchten eine gefährliche Versorgungslücke. 

Mit großer Sorge reagierten der CDU-Abgeordnete Stephan Schmidt und der CDU-Bundestagsabgeordnete Marvin Schulz auf die Reduzierung von NEF-Stützpunkten in Reinickendorf: „Es ist heute schon schwierig, im Ernstfall innerhalb der vorgegebenen Zeit einen Notarzt in diese Ortsteile zu bringen – eine weitere Verlängerung der Anfahrtszeiten kann für Menschen in akuter Lebensgefahr fatale Folgen haben“, sagte Schmidt.

Grundlage für die Entscheidung ist die neue Ausschreibung für notärztliche Leistungen (AGNA V) und ihre Besetzung für die nächsten Jahre. Doch Timur Tischler, Leitungsstab Kommunikation der Berliner Feuerwehr, beschwichtigt: „Die notfallmedizinische Versorgung in Berlin basiert nicht ausschließlich auf der Verfügbarkeit klassischer Notarzteinsatzfahrzeuge, sondern auf einem umfassenden und modernen System ineinandergreifender Einsatzmittel und -konzepte. Eine Verschlechterung der Versorgungslage ist daher nicht zu erwarten.“

Zum einen trage die bereits erfolgte Reduzierung der Notarzteinsatzindikationen dieser Entwicklung Rechnung: „Nicht mehr jeder Notfall erfordert zwingend die physische Präsenz eines Notarztes“, sagt Tischler. „Parallel dazu sind die Kompetenzen der Notfallsanitäter in den vergangenen Jahren erheblich erweitert worden. Diese hochqualifizierten Fachkräfte können heute zahlreiche Einsatzsituationen eigenständig und leitliniengerecht versorgen.“

Die Versorgungssicherheit sei durch die Kombination aus Notfallsanitätern, Telenotärzten, bedarfsgerecht disponierten Notarzteinsatzfahrzeugen und Hubschraubern gewährleistet. Eine Verschlechterung der notfallmedizinischen Versorgung sei nicht zu erwarten – vielmehr spiegele die aktuelle Struktur die moderne, zukunftsgerichtete Ausrichtung des Rettungsdienstes in Berlin wider. „Der Begriff ‚Versorgungslücke‘ ist insofern nicht zutreffend“, erklärt er.

Die Zahlen zeigen: In den vergangenen Jahren gab es für die Einsatzfahrzeuge mit Notarzt rund 25 Prozent weniger Alarme – was wohl auch an den besseren Kompetenzen der Notfallsanitäter liegt. Dennoch ist unverständlich, warum gerade Tegel seinen NEF verliert und nicht ein anderer Standort. Schaut man sich nämlich die Einsatzzahlen der vergangenen Jahre an, wird deutlich: Laut Jahresbericht der Berliner Feuerwehr für das Jahr 2023 hatte das NEF in Tegel insgesamt 3.986 Einsätze, mehr als das NEF am Standort Pankow (3.242) und Spandau (3.387). Die Zahlen im vergangenen Jahr waren ähnlich. Der Hermsdorfer NEF ist nicht 24 Stunden im Einsatz, sondern nur tagsüber – und fuhr 2023 insgesamt 1.719 Einsätze.

Der Hubschrauber ist schon jetzt häufig im Einsatz: Das geht aus einer schriftlichen Anfrage Schmidts an die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hervor: In den betroffenen Ortsteilen ist die Zahl der Einsätze mit Rettungshubschraubern gestiegen – obwohl die bodengebundenen Notarztwagen noch voll im Einsatz waren. So haben sich zum Beispiel die Hubschraubereinsätze in Frohnau von 20 im Jahr 2023 auf 54 im Jahr 2024 fast verdreifacht. 

„Diese Entwicklung ist ein deutliches Warnsignal“, sagt Marvin Schulz. Und Schmidt fügt hinzu: „Wenn künftig nur noch ein Notarztfahrzeug in Wittenau stationiert ist und damit ganz Reinickendorf mit seinen über 260.000 Einwohnern abgedeckt werden soll, wird der Rettungshubschrauber wahrscheinlich zum Regelfall – mit allen logistischen und personellen Problemen.“

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.