„Wie die Tiere da überleben können, ist mir ein Rätsel“, sagt Umweltschützer Anton Kulmus und schaut zu den paar Enten auf dem Schäfersee hinüber. Unter ihm ergießt sich aus einem Rohr schwarze Brühe in den See. Es ist einer der fünf Zuläufe, die das Oberflächenwasser von den umliegenden Straßen sammeln und ungefiltert in den See ergießen. Dieser „schwebende Dreck“ kommt von der Emmentaler Straße. Es ist hauptsächlich Reifenabrieb, aber auch weggeworfene Zigarettenstummel und Hundekot machen dem Schäfersee zu schaffen. Immer wieder gab es große Fischsterben in der Vergangenheit.
Zum Weltwassertag am 22. März weist Kulmus mit seiner „Projektgruppe Schäfersee“ einmal mehr mit einer Flugblattaktion auf die Missstände hin. Da der offizielle Weltwassertag dieses Jahr ein Sonntag ist, hat er die Aktion auf den Samstag vorgezogen, um möglichst viele Menschen auf der belebten Residenzstraße mit seinen Flugblättern anzutreffen. Es geht ihm hauptsächlich um das Mikroplastik von den Autoreifen. Er geht von 320 Tonnen anfallenden Reifenabrieb pro Jahr allein in Reinickendorf aus, die auch „hochgiftige Zinkverbindungen“ enthalten. All das wird vom Regenwasser von den Straßen heruntergespült.
1993 haben die Vereinten Nationen den jährlichen Weltwassertag ausgerufenen. An diesem Tag soll auf das Wasser als Lebensgrundlage für alle Menschen und die Natur hingewiesen werden. Die Vereinten Nationen möchten, dass sich möglichst viele „für die Realisierung eines nachhaltigen Wasserressourcen- und Gewässermanagements“ einsetzen. Dieses Jahr steht der Tag unter dem Motto „Wasser und Klimawandel“. Die Vereinten Nationen mahnen zur Eile bei dem Schutz unseres Lebenselixiers und fordern alle Bürger auf, sorgfältig mit Wasser umzugehen: „Jeder muss seine Rolle spielen.“
Für den Schäfersee fordert Kulmus vehement eine Anlage, mit der das mit Straßendreck versetzte Wasser gefiltert werden kann. Im Kern handelt es sich dabei um größere Schilfgebiete am Ufer, die das Wasser vorreinigen sollen.
Kulmus erklärt: „Schilf ist wie eine Blackbox. Wir wissen, was reingeht, wir wissen was rauskommt. Was dazwischen passiert, wissen wir nicht so genau.“ Auf jeden Fall sei das Wasser sauberer, nachdem es durch den Schilfboden gesickert sei. Am Halensee seien sehr gute Erfahrungen damit gemacht worden: „Innerhalb von zehn Jahren konnte dort aus einem völlig verdreckten See ein sauberer See werden, dessen Sichttiefe nun bei vier Meter liegt.“ Konkrete Pläne für den Schäfersee liegen für eine solche Anlage nicht vor.
Die Berliner Wasserbetriebe sind für die meisten Teiche, Seen, Flüsse und Bäche nicht zuständig. Sie kümmern sich um Frischwasser und Abwasser. Ihr Pressesprecher Stephan Natz sagt, dass „Straßenregenwasser eine kommunale Angelegenheit“ sei. Er sieht aber nicht nur die Kommunen in einer besonderen Verantwortung, Wasserschutz zu betreiben, sondern auch jeden einzelnen Bürger. So sei die Toilette „keine Müllkippe“ für unverbrauchte Medikamente, Chemikalien, Fette und Mikrofaserhaushaltstextilien. Das alles seien Stoffe, die es den Klärwerken der Berliner Wasserbetriebe besonders schwer machen würden. Natz reimt munter drauf los: „Auf das Klo gehört nur der Po“ und fordert alle Bürger auf, die Berliner Wasserbetriebe dabei zu unterstützen, die Stadt „mit dem wichtigsten Lebensmittel“ zu versorgen.
Sein Kollege Wolfgang Bark arbeitet bei der „OWA“ in Tegel. Die Abkürzung steht für „Oberflächenwasser-Aufbereitungsanlage“. 1985 wurde sie als „Phosphateliminationsanlage“ in Betrieb genommen und hat seitdem gute Arbeit geleistet. Hier wird der Nordberliner Wasserkreislauf kontrolliert und Bark ist für die „Verfahrenssteuerung“ zuständig, kurzum: Er sitzt an den Hebeln und kontrolliert den Zufluss zur OWA und die Abgabe in den Tegeler See. Auf seinem blauen Hemd steht in kräftigen weißen Buchstaben „Leitungssportler“. Ihm und seinen Kollegen ist es zu verdanken, dass sich die Sichttiefe des Tegeler Sees in den vergangenen Jahrzehnten von „wenigen Zentimetern auf rund drei Meter verbessert hat.“ Damit ist er einer der saubersten Gewässer von Berlin.
Die OWA an der Buddestraße in Tegel ist ein architektonisches Meisterwerk des Wiener Architekten Gustav Peichl, der im November vergangenen Jahres gestorben ist. Er hinterließ ein aufsehenerregendes Gebäude in Form eines Schiffes. Um das Hauptgebäude sind Sedimentbecken gruppiert, durch die das Wasser vom Klärwerk Schönerlinden in mehreren Reinigungsschritten fließt. Die Becken sind kreisrund und haben oben eine offene Wasserfläche. Damit sie im Winter nicht einfrieren, ist die ganze Oberfläche mit schwarzen Bällen bedeckt. Noch hat der Klimawandel Temperaturen unter null Grad im Winter nicht ganz beseitigt.
Aber nicht nur das Klärwerk in Brandenburg lässt Wasser über den Nordgraben und dem Tegeler Fließ der OWA zukommen, auch aus dem Tegeler See direkt wird Wasser entnommen. Eine Leitung auf dem Grund des Sees saugt Wasser aus der Oberhavel vor dem westlichen Ende der Insel Valentinswerder an und transportiert sie quer über den Tegeler See zur OWA am östlichen Ende des Gewässers. Hier wird das Wasser von Phosphat und anderen Stoffen gereinigt und dem See wieder zugeführt. So entsteht auch eine minimale Strömung in Ost-West-Richtung, die dem See guttut. Die Belüftungsanlagen mit Sauerstoff waren eine der ersten Maßnahmen, den See wieder in ein besseres Gleichgewicht zu bekommen. Sie arbeiten weiterhin.
Wie schwierig es häufig ist, Umwelt- und Wasserschutz mit den Interessen der Bürger in Einklang zu bringen, zeigt das Beispiel Tegeler Fließ. Es bereitet seit einiger Zeit den Uferanliegern Probleme. Die zuständige Senatsverwaltung vertritt die Auffassung, „das Fließ möge sich selbst überlassen entwickeln“, kritisiert Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU). Bäume fallen ins Wasser, Biber bauen Dämme, das Wasser staut sich auf und setzt Ufergebiete unter Wasser. Balzer beklagt, dass sich sein Bezirksamt „seit Jahren bei der zuständigen Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz dafür einsetzt, dass das Fließ gesäubert und gepflegt wird“. Er setzt nach: „Hier gibt es einen klaren Konflikt zwischen Bezirksamt und dem Senat.“ Ulf Wilhelm (SPD), Vorsitzender des Bezirks-Umweltausschusses, hält dagegen: „Wir haben das Fließ der Natur zurückgegeben und können jetzt nicht bei jeder Kleinigkeit mit dem Staubsauger durchgehen.“ Allerdings setzt er sich dafür ein, dass der Hermsdorfer See bald ausgebaggert wird.
Der diesjährige Weltwassertag will auch größere Zusammenhänge zum Klimawandel aufzeigen. Die Sommer werden länger, heißer und trockener, zeitweise unterbrochen von Starkregen, wie zum Beispiel 2017 in Berlin. Für diese extremen Regenfälle sei „unsere Infrastruktur nicht ausgelegt“, gibt Stephan Natz von den Berliner Wasserbetrieben zu bedenken. Für das andere Extrem der trockenen Hitzeperioden vergleicht er Berlin sogar mit der „Sahelzone“. Die dicht bebaute Stadt funktioniere dann zusätzlich wie ein Hitzespeicher. Natz spricht vom „Backofeneffekt“. Havel und Spree seien dann mit ihrem geringen Wasserdurchfluss nur noch „Flussdarsteller“.
Genügend Reserven
Wenn die Menschen unter den sommerlichen Hitzeattacken leiden und der Pegel der Oberflächengewässer sinkt, müssen die Bürger Berlins keine Wasserknappheit wie in anderen Großstädten befürchten. Die Wasserwerke versichern, dass das Grundwasser unter der Stadt genügend Reserven vorhalte. Insgesamt neun Wasserwerke pumpen Trinkwasser in die 7.900 Kilometer langen Rohleitungen zur Versorgung der Stadt Berlin. Das älteste und heute zweitgrößte Wasserwerk Berlins steht in Tegel an der Bernauer Straße und wird gerade grundlegend renoviert.
Dirk Beckert ist seit 30 Jahren bei den Berliner Wasserbetrieben und führt gern durch „sein“ Wasserwerk Tegel. Er ist immer noch „begeistert von der naturnahen Wasseraufbereitung“ ohne Chemieeinsatz. Das Wasser kommt aus 120 Brunnen rund um den Tegeler See. Ein paar sind auch auf den Inseln. Sie zapfen das Grundwasser in einer Tiefe zwischen 30 und 80 Metern an. Im Wasserwerk angekommen, wird es in großen Räumen in die Luft gespritzt. Bei dieser Prozedur wird, so Beckert, „das zweiwertige Eisen mit Sauerstoff zu dreiwertigem Eisen“ umgewandelt. Das dreiwertige Eisen setzt sich dann als Schlamm ab und wird entsorgt.
Täglich etwa 150 Proben
Beckert spricht nicht gern darüber, weiß aber auch, wie verletzbar diese wertvolle Infrastruktur ist. Umweltkatastrophen oder Terroranschläge können unser wichtigstes Lebensmittel schnell gefährden. Im Werkslabor wird das Wasser täglich mit etwa 150 Einzelproben überprüft. Aber die zuverlässigsten Tester sind die insgesamt 64 Bachflohkrebse, jeweils aufgeteilt zu acht Krebsen auf acht Kammern. Jeder Tropfen Wasser, der das Wasserwerk Tegel verlässt, durchfließ diese Kammern. Wenn die Krebse sich auffällig verhalten, wird sofort Alarm geschlagen. Dirk Beckert zeigt dem Besucher gern die Schaltzentrale und andere sensible Stellen im Wasserwerk, aber die Bachflohkrebse werden gehütet wie ein Schatz. Nicht einmal anschauen ist erlaubt.
Die eigentliche Aufgabe von Beckert sind aber die riesigen Solaranlagen auf dem Werksgelände. Sie leisten einen Beitrag, klimaneutralen Strom für das Wasserwerk bereitzustellen. Wie groß der Energiebedarf eines solchen Werkes ist, kann man daran ermessen, dass die einige Fußballfelder großen Solaranlagen nur zehn Prozent des Gesamtstrombedarfs decken. Der überwiegende Teil kommt von den Stromversorgern, die bekanntlich ein großer Emittent des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) sind. Dennoch macht Beckert die Rechnung auf, dass die Berliner „100.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können, wenn sie Wasser nur aus dem Wasserhahn trinken würden.“ Der gesamte Herstellungsprozess eines Liters Wasser, abgefüllt in handelsüblichen Flaschen, würde 210 Gramm CO2 verursachen, während der Liter aus dem Wasserhahn nur 0,35 Gramm CO2-Ausstoß verursache.
Wasser und Klima haben viele weitere Aspekte. Einer davon ist, wie wir zukünftig mit Regenwasser bei steigenden Temperaturen umgehen. Bei der Nachnutzung des Flughafens Tegel soll bei den Gebäuden im neu entstehenden Schumacher Quartier nach dem Leitplan „Regenwasser und Hitzeanpassung“ gearbeitet werden. Regenwasser soll möglichst da verdunsten, wo es anfällt. Das ist für den Wasserkreislauf gut und kühlt über die Verdunstung die Umgebung ab. Agnes Kummelt von den Wasserbetrieben arbeitet eng mit „Tegel Projekt“ zusammen und spricht von einem Paradigmenwechsel: „Früher wollten wir das Regenwasser möglichst unter der Erde in Rohren abführen, heute soll es sichtbar an der Oberfläche bleiben und wirken.“
Dafür werden „blau-grüne Gebäude“ geplant. Blau steht dabei für Wasser und grün für Pflanzen. Dächer und auch Fassaden werden begrünt. Regenwasser soll im zukünftigen Schumacher Quartier aufgehalten und nicht abgeführt werden. Es verdunstet an Ort und Stelle oder wird den Pflanzen zugeleitet, die dann ihren positiven Beitrag zur Klimaverbesserung leisten können. Agnes Kummelt sitzt auch in ihrem Büro inmitten von Pflanzen und sagt: „Wir müssen das alles miteinander verzahnen.“ Es laufe auf ein „integriertes Modell hinaus, das Wasser aufzuhalten“. In dieser neuen Vorgehensweise, mit Regenwasser umzugehen, „werde Reinickendorf Vorreiter sein.“ bs
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