RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Eine Frau in einer Buchhandlung, im Hintergrund viele Regale vollder Bücher. Ihren Arm lehnt sie auf eine lustige Figur, die eine Schale mit Pixibüchern vorhält.
Großer Kumpel Pixiemann: Tanja Bethke in der Buchhandlung am Schäfersee. Foto: du

Außer Lesen nichts gewesen?

Reinickendorfs Schreib- und Lesekultur kann sich sehen lassen

Kaum zu glauben: Der längst totgesagte Büchermarkt boomt – und das auch noch im Segment junger Lesender, denen man Bücher allenfalls als Deko-Elemente im Regal zugebilligt hätte. „New Adult“ heißt die Zauberformel und bedient vor allem die Bedürfnisse einer 16- bis 30-jährigen vorwiegend weiblichen Leserschaft.

Eine Frau steht vor einem langen Bücherregal und lacht in die Kamera
Fachfrau für Comics und Mangas: Nadja Baumgartner

Petra Lölsberg resümiert für die Humboldt Bibliothek: „Titel aus dem Genre ‚New Adult‘ verkaufen sich so gut wie nie zuvor. Um die ,leichten‘ Liebesromane für junge Erwachsene ist ein regelrechter Hype entstanden.“ Dazu zählen dicke Wälzer über die Lebenswelt junger Menschen und über teils erotische Traum- und Fluchtwelten. Flankiert wird der Hype von Mangas und Comics.

Unbestritten bleibt, dass sich der Markt für das Kulturgut Buch in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert hat. Die Deutschen lesen laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt nur noch 27 Minuten am Tag. Doch trotz dieser Erhebungen sowie bedrückender Wirtschaftslage wächst der Buchmarkt – vor allem mit Belletristik, Kinder- und Jugendbüchern sowie natürlich Hörbüchern. Und die jungen Fan-Massen der Leipziger Buchmesse 2024 offenbaren, dass Gefühle wieder „in“ zu sein scheinen. Die ‚Generation Z‘, der immer vorgeworfen wird, sie hänge nur am Smartphone, strebt wieder zum Buch. Allerdings nicht nach den Empfehlungen etablierter Literaturkritiker, sondern aufgrund von TikTok-Tipps. 

Indes, besagtes Umsatz-Wachstum zeigt nicht das ganze Bild: Dahinter stecken auch Preiserhöhungen. Andererseits sind echte Erstauflagen rückläufig, denn die Verlage sind unsicher geworden, ob sie in flauen Zeiten Titel von Frischlings-Autoren absetzen können. Und was die Vertriebswege betrifft: Der Internet-Versand blüht ungebrochen, während der stationäre Buchhandel um Laufkundschaft und Online-Käufer kräftig buhlen muss.

Bücherei, Bücherbus, VHS und Museum

Eine junge Frau in schwarzem Blazer steht in einer Buchhandlung neben einem Aufsteller mit "New Adult" Büchern (entsprechend beschriftet) und zeigt einen Titel in die Kamera.
Präsentiert in der HuBi New Adult: Antonia Skrosch, Foto: du

Insgesamt findet sich im Fuchsbezirk eine Fülle bunter Angebote: „Bei unserer Vielzahl öffentlicher privater und ehrenamtlicher Aktivitäten bleibt kaum noch Luft nach oben“, freut sich Bezirksstadtrat Harald Muschner über lokale Lesekultur und ihre Infrastruktur. Vor allem preist Muschner „Berlins schönste öffentliche Bücherei“ in Gestalt der Humboldt-Biblothek (HuBi) und ihrer Außenstellen – inklusive Bücherbus. Ihr üppiges Jahresprogramm zeigt, dass es mit traditioneller Ausleiharbeit längst nicht mehr getan ist: Robotik, Tablet-Kurse, Vorleseworkshops für Eltern und Kinder stehen für nur einige der vielfältigen Angebote. Selbst die stillen Lesekreise der „Silent Circler“ stoßen auf Interesse. 

Nicht zu vergessen die Veranstaltungen der Volkhochschule oder des Reinickendorfer Museums. Hinzu kommt eine gute Handvoll engagierter Traditionsbuchhandlungen in Tegel, Hermsdorf, Frohnau und als Outpost am Schäfersee. 

Eine Frau zieht leicht die Tür einer alten, ehemals gelben (und jetzt kunterbunt bemalten) Telefonzelle auf, die eine Büchersammlung beherbergt.
Kooperation statt Konkurrenz: Claudia Hemmerling wünscht sich eine Zusammenarbeit am
Fellbacher Platz, Foto: du

Bücherboxen in alten Telefonzellen

Auch nicht ohne sind über 25 ehrenamtlich betriebene Bücherboxen vom Märkischen Viertel bis Reinickendorf Ost. Eine der ältesten Bücherboxen ziert den Lübarser Dorfanger in Gestalt einer nostalgiegelben Glaszelle. Als Glanzstück fungiert hingegen die ‚Bücherboxx‘ in Hermsdorf. Sie war dem RBB Ende Januar sogar einen Fernsehbeitrag wert. Fleißige Berufsschüler hatten der „ollen Zelle“ vor ein paar Jahren einen neuen Job verpasst. Angeflanschte Sitzflächen spenden hier Platz für bequemes Probelesen im Bänke-Rund – ein buchstäblich gewachsener Treff gegen Einsamkeit. Allerdings gab‘s gefühlten Zoff mit der Buchhandlung in Sichtweite, sodass die Bücherzelle zum 31. März bereits vom Zwangsumzug bedroht war. Letzterer soll laut aktuellem Entscheid der Bezirskbürgermeisterin aber wieder vom Tisch sein. Vielleicht lassen sich künftig am Platz ja zusammen mit Bücherbus und Ladengeschäft gemeinsame Leseabende zum gegenseitigen Nutzen organisieren … 

Doch egal ob Box oder Zelle: Alle Tausch-Lokalitäten fungieren als multikulturelle Wundertüte. Inhalt: Romane diverser Genres, Sachtitel aber auch Kinderbücher. So trifft Weltliteratur auf Kochbücher oder Philosophisches.  

Eigendruck im Selbstverlag

Und wenn für Sie als RAZ-Leser persönlich überhaupt nichts drin sein solle? Dann schreiben Sie doch Ihr eigenes Buch als „aktiver Rezipient“! Mentorinnen wie Reinickendorfs Literatur-Päpstin Claudia Johanna Bauer unterrichten im deutschsprachigen „Creative Writing“. Fest steht: Gruppenkontakt plus Austausch tut entstehenden Werken und ihren Schöpfern gut. 

Für Autodidakten und kreative Eigenbrötler, denen die MS Word-Vorlagen nicht ausreichen, findet sich spezialisierte Schreib-Software: ‚Papyrus‘ entstand mit Unterstützung von Deutschlands Fiktions-Fürsten Andreas Eschbach. Und Mitbewerber ‚Drama-Queen‘ punktet mit prima Prosa- und Drehbuch-Vorlagen. Doch wer sich der Mühe des Schreibens unterwirft, will wahrscheinlich auch veröffentlichen. Da die Verlage bei Newcomern eher zurückhaltend agieren, geht der aktuelle Trend zum Eigendruck im Selbstverlag mit ‚Print on Demand‘.

Und wenn sich das heimische Regal unter dem Übergewicht von Titeln bedrohlich wölbt? Die ausgemusterten Bände auf keinen Fall in die blaue Papier-Recycling-Tonne treten! Neben den bereits angesprochenen Bücherboxen finden sich Gebrauchtbuch-Ankäufer wie Momox, ReBuy & Co., die für ein Buch zwar nicht viel, aber immerhin bei Porto-Freiheit ein wenig zahlen. So gelangt das Kulturgut Buch aus dem Fuchsbezirk wieder in den großen Markt-Kreislauf zurück.

Heldenreise als Erfolgsrezept

Mit diesen Mythen in Tüten gelingt die Story fast immer

Seit über 5.000 Jahren beherrscht die Heldenreise die Welt der Erzähl-Mythen. Hier die Grundzüge für Leser und Schreiber:

  • Alltags-Welt: Der künftige Held, wie Frodo Beutlin aus dem Herrn der Ringe lebt und langweilt sich in seiner Auenland-Alltagswelt. Es folgt der Ruf des Abenteuers durch eine Bedrohung oder Krise. 
  • Zögern und Weigerung: Der künftige Held zaudert anfangs noch, dem Ruf zu folgen. Begegnung mit dem Mentor: Ein weiser Mentor, à la Gandalf, gibt dem Kandidaten Rat oder Ausrüstung. Schritt über die Schwelle: Jetzt verlässt der frisch gekürte Held seine gewohnte Welt und betritt die Anderwelt des Abenteuers – nicht selten in einem Wald.
  • Prüfungen, Verbündete und Feinde: Unser Held begegnet unbekannten Herausforderungen, trifft auf Feinde, findet aber auch Gefährten. Er nähert sich der Höhle des Löwen oder Tyrannen und besteht mit seinem Team die größten Gefahren. 
  • Schwere Prüfung: Der Protagonist überwindet seinen inneren Schweinehund und mehr – oft unter Lebensgefahr.
  • Belohnung: Der Held erhält eine Belohnung beispielsweise die Königstochter oder ein magisches Elixier. 
  • Rückkehr: Der Held kehrt in seine Alltagswelt zurück, jetzt mit einem Erfahrungs-Schatz, den er mit anderen teilt.

>>> Dieses Erfolgs-Modell wurde von Joseph Campbell in seinem Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ beschrieben und später von Christopher Vogler für Drehbuch-Autoren adaptiert. 

„Kill Your Darlings“

Schreibenden über die Schulter geschaut 

Tipps und Tricks, die auch für Nichtschreiber den Lese-Spaß erhöhen und helfen, qualifiziert mitreden zu können: Lassen Sie sich inspirieren und Ihrer Kreativität freien Lauf! Danken Sie Ihren Ideen und fangen Sie Ihre Einfälle mit Notizzettel oder Diktierfunktion schon am Bett auf. Später im Wachzustand stellt sich die Frage, welches Genre ich bedienen will und welche Zielgruppe angesprochen werden könnte?

  1. Formulieren Sie eine Prämisse. Ist es beispielsweise ganz normal, dass Androiden Menschen bedienen? Autoren bauen passend dazu eine entsprechende Storyworld auf – wie etwa beim Bladerunner.
  2. „Show don‘t tell“ vermeiden Sie auf jeden Fall die große Gähn-Show, indem Sie nicht schreiben ‚er fühlte sich mulmig‘, sondern beschreiben Sie plastisch, wie sich die Person aufstößt, krümmt und kotzt. Üben Sie sich darin, mit „Worten zu fotografieren“! Vermeiden Sie wo immer möglich Passiv-Konstruktionen und schwache Verben wie ‚sein‘ und ‚haben‘. Seien Sie achtsam bei Satire – nicht jeder versteht Ihren geistreichen Humor.
  3. Entwickeln Sie unverwechselbare Charaktere! Mindestens Held und Gegenspieler, also Protagonist und Antagonist, auf Augenhöhe. Alle sollten äußerlich und innerlich mit Stärken, Schwächen – wie beispielsweise Höhenangst – beschrieben werden. 
  4. Ihre Handlungsträger sollten ein Trauma haben, das sie hoffentlich im Laufe der Handlung überwinden. Ideal, wenn sie aus ihren Luftschloss-Wünschen echte Bedürfnisse entwickeln, also aus Wants echte Needs machen. Und wechseln Sie öfter die Perspektive. Der allwissend-auktoriale Erzähler langweilt auf die Dauer. Erzählen Sie zur Abwechslung mal aus der Perspektive eines Kühlschranks oder der des Haushundes. 
  5. Häusliche Überarbeitung muss sein! Scheuen Sie sich bei Streich-Konzerten auch nicht, im Sinne von „Kill Your Darlings“ einige Ihrer Lieblingsfiguren auszuschalten. 
  6. Und zu guter Letzt: Geben Sie Ihrem Leser, was er erwartet, aber nicht wie er es erwartet. 

>>> Viel Schreib- und Lesespaß!

Bei diesem Artikel handelt es sich um den Titelthema-Beitrag aus dem neuen RAZ Magazin (Ausgabe 01/25).

Das PDF mit allen Inhalten finden Sie unter www.raz-verlag.de/publikationen/RAZ-Magazin
Harald Dudel