Es geht auch ohne Blockaden. Der Landesverband Landwirtschaft & Pferdehaltung Berlin hat zur Demo aufgerufen. Inmitten von Treckern und etwa 50 Zuhörerinnen und Zuhörern hält der Vorsitzende Axel Gericke eine Rede auf dem Anger vor der Dorfkirche von Lübars.
Die Plakate an den Treckern sind gewohnt aggressiv: „Die Ampel macht uns Bauern kaputt“, „Will Deutschland keine Landwirte mehr???“ und „Ohne Landwirtschaft wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern“. An diesem Tag kommt es noch nicht so schlimm. Es wird zu Kuchen, Kaffee und Bratwürsten eingeladen, alle haben an diesem kalten Januartag etwas zum Anziehen, und wer das alles nicht ganz nüchtern erleben will, bekommt Glühwein.
Bei aller Gemütlichkeit rund um die wärmende Feuerstelle findet Gericke deutliche Worte zu den Sparmaßnahmen beim Agrardiesel: „Wir verbrauchen den Diesel doch nicht aus Jux und Dollerei und fahren damit in den Urlaub.“ Er habe den Eindruck, die Bevölkerung habe völlig vergessen, woher die Lebensmittel kommen: „Die kommen nicht von Aldi und Lidl.“ Für die Landwirtschaft müssten die „Rahmenbedingungen“ stimmen, „mit denen wir leben können“. Er mahnt einheitliche Regelungen in der Europäischen Union an, damit alle „in einem vernünftigen Rahmen konkurrieren“ könnten. Zum Abschluss wünscht er den Anwesenden versöhnlich: „Guten Appetit“.
Unterdessen ist ein älterer Herr, als AfD-Parteigänger unschwer an Partei-Stickern an Jacke und Wollmütze zu erkennen, im Publikum unterwegs. Auf Nachfrage stellt er sich als einfaches Parteimitglied vor. Er wolle nicht die Demo „unterwandern“, sondern die Bauern „unterstützen“. Anders als Gericke fordert er keine europäische Lösung, sondern eine auf „nationaler Ebene“: „Mein Land, meine Lebensgrundlage“. Gericke, auf die Bemühungen der AfD um die Bauern angesprochen, beschwert sich zunächst beim Reporter über die Frage. Diese „lenke vom Thema ab“. Dann merkt er allerdings, dass das AfD-Mitglied Schriftmaterial verteilt.
Das will Gericke auf seiner Demo nicht zulassen. Zusammen mit einer Mitstreiterin, „Frauen können das besser“, gehen sie auf das AfD-Mitglied zu und bitten ihn bestimmt, das Verteilen von Parteischriften einzustellen. Einen weiteren Konflikt darum scheint es nicht zu geben.
Axel Gericke ist CDU-Mitglied, will sich aber nicht auf Parteipolitik bei dem Protest festlegen lassen. Ihm zur Seite steht Ute Kühne-Sironski, die für die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf ist. Dort streitet sie für Lübars und die verbliebenen sechs aktiven Höfe in ihrem Dorf. Einer davon gehört seit Jahrhunderten ihrer Familie. Sie sieht im Publikum Rolf Wiedenhaupt (AfD), Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin. Von den anderen Parteien habe sich offensichtlich niemand in die Kälte zu den Landwirten gesellt.
Kühne-Sironski weist auf den kleinen Handzettel hin, den der Landesverband verteilt. Er zeigt ein übervolles Holzfass mit blauer Soße. Die „Streichung der KFZ-Steuerbefreiung und Agrardieselrückvergütung“ habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie beschwert sich auch über den „Kontrollwahnsinn und Bürokratie“ sowie die „strengere Düngeverordnung“. Diese untersage ihr, den im eigenen Stall produzierten Mist auf eigenem Acker abzuladen. Ein Unternehmen müsse die Rückstände abholen und sie kaufe dann den Dünger für den eigenen Boden wieder ein. Kühne-Sironski wirkt dabei richtig aufgebracht.
Seit Jahrzehnten ist sie Vorsitzende der Landfrauen von Berlin. Gericke als Vorsitzender des Landesverbandes und Kühne-Sironski als Chefin der Landfrauen kommen beide aus Lübars und vertreten die Bauernschaft in ganz Berlin. Das sind neben den sechs aktiven Höfen in Lübars allerdings nur noch weitere 16 im restlichen Stadtgebiet. Sie verteilen sich auf Rudow, Buckow, Marienfelde, Gatow, Kladow und Blankenfelde. So entschlossen die beiden ihre kleine Schar der aufrechten Bauern in der Millionenmetropole anführen, so freundlich sind sie im Gespräch nach dem offiziellen Teil: „Noch einen heißen Tee?“ Zu gern, allein um die kalten Hände zu wärmen.
Aber was ist mit dem missglückten Urlaubsende von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der die Fähre an der Nordseeküste wegen aufgebrachter Bauerndemonstranten nicht verlassen konnte? Kühne-Sironski ist da ganz entschieden: „Das mit der Fähre und Habeck ging gar nicht. Das fanden wir alle nicht gut.“