Hermsdorf – Kurz nach Weihnachten vor 70 Jahren machte sich Max Beckmann am 27. Dezember 1950 von seiner Wohnung in New York auf den Weg durch den Central Park zum Metropolitan Museum of Art, wo ein Selbstportrait von ihm ausgestellt wurde. Doch er kam nie am Ziel an – unterwegs erlitt der 66-jährige einen Herzinfarkt und starb. Der Maler hatte sich zwei Jahre zuvor in den USA niedergelassen. Obwohl er sich willkommen fühlte und seinen Ruhm dort genoss, klagte er einem Freund, dass „die Sehnsucht oder so was ähnliches nach dem alten Europa“ nicht aufhört.
Als junger Mann studierte er in Paris und den Niederlanden seine großen Vorbilder wie Cézanne und Rembrandt. Nach diesem Auslandsaufenthalt zog der gebürtige Leipziger, der in Braunschweig aufgewachsen war, nach Schöneberg. 1906 heiratet er seine Kollegin Minna Tube und ließ sich im folgenden Jahr mit ihr in Hermsdorf nieder. Das Wohnhaus mit Atelier in der Ringstraße wurde nach ihren Plänen gebaut. Minna Beckmann-Tube gab das Malen auf – wohl auf Wunsch ihres Mannes – und wurde mit einigem Erfolg Opernsängerin. Erst nach ihrer Scheidung 1925 wurde aus der Sängerin wieder eine Malerin. Ihrem Ex-Mann fühlte sie sich weiterhin tief verbunden.
Schon vor dem Ersten Weltkrieg zeigte sich im Schaffen von Max Beckmann eine Faszination für große Katastrophen. Kurz nach dem Erdbeben im italienischen Messina 1908 mit Zehntausenden von Toten hielt er das Unglück auf Leinwand fest und ebenso den Untergang der „Titanic“ 1912. Auch dem Ersten Weltkrieg sah er mit einer gewissen Abenteuerlust entgegen. Er meldete sich freiwillig als Sanitäter, weil er auf niemanden schießen wollte – weder auf die Franzosen, weil er bei seinem Paris-Aufenthalt viel von ihnen gelernt hatte, noch auf die Russen wegen seiner Bewunderung für Dostojewski. Das Grauen wurde von ihm künstlerisch verarbeitet: „Meine Kunst kriegt hier zu fressen.“ Doch dem Schrecken des Schlachtfeldes hielt er nicht stand und erlitt 1915 einen Nervenzusammenbruch. Beeindruckend demonstrieren seine Selbstportraits aus dieser Zeit, wie psychisch angeschlagen er aus dem Krieg zurückkehrte – besonders verglichen mit dem souveränen Selbstbildnis aus den Anfängen seiner Laufbahn.
In der Nazizeit galten seine Bilder als entartet
In der Weimarer Republik ging es mit seiner künstlerischen Karriere weiter bergauf, und er wurde Professor an der Städelschule in Frankfurt. Seine Gemälde vom großstädtischen Nachtleben prägten das Bild der Goldenen Zwanziger Jahre entscheidend mit. Gerne saß er, Champagner trinkend, in Lokalen und beobachtete seine Umgebung, fühlte sich dabei aber „immer einsam unter Menschen“.
Nach der Machtergreifung der Nazis wurde Beckmann die Professur entzogen und seine Bilder galten als entartet. Mit seiner zweiten Frau verließ er Deutschland 1938. Im Amsterdamer Exil flüchtete er sich in Arbeit. Sein Sohn aus erster Ehe war Sanitäter im Zweiten Weltkrieg und konnte Werke des Vaters nach Deutschland schmuggeln, die dort verkauft wurden. Nach dem Krieg nutzte Beckmann das Angebot, in St. Louis und in Brooklyn als Dozent zu lehren.
Im September 2020 eröffnete in der Hamburger Kunsthalle eine Max-Beckmann-Ausstellung mit dem Titel „weiblich – männlich“. Obwohl Beckmann als Macho gilt, entsprechen viele seiner Figuren beiderlei Geschlechts nicht immer herkömmlichen Rollenklischees, erklärt die Kuratorin. Sein Werk ist so vielschichtig, dass es immer wieder in einem neuen Licht betrachtet werden kann.
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Gedenkstein am S-Bahnhof Hermsdorf Foto: bod