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Ein Mädchen bemalt ein kleines Holzhäuschen für Vögel
Foto: fle

Bunte Hotels für Insekten und Vögel

„Unsere Gärten sollen bleiben“, „Wir brauchen die Wiese! Liebe Grüße, die Insekten“, „Ich brauch‘ mein Laub! Liebe Grüße, der Igel“ – solche und andere Sätze schrieben mehr als 30 Mädchen und Jungen am 1. April auf Vogelhäuschen und Insektenhotels. Innerhalb von wenigen Stunden bemalten und beschrieben sie 120 dieser kleinen „Wohnungen für Tiere“.

Und das hat einen ganz besonderen Grund: Norbert Raeder, Inhaber des Kastanienwäldchens an der Residenzstraße, möchte ein Zeichen setzen – gegen den geplanten Abriss eines Kleingartenbereichs der Gartengemeinschaft Pankower Allee e.V. gleich um die Ecke: „Ich werde mein Bestes geben, um die Kleingartenanlage und somit den vielfältigen tierreichen Lebensraum noch vor dem eigentlich schon längst beschlossenen Abriss zu retten“, sagt er. „Nicht dass man mich falsch versteht – Wohnraum ist wichtig. Jedoch dafür den Lebensraum von Millionen Insekten sowie kleineren und größeren Lebewesen durch den Bau von Stahl- und Betonklötzen zu zerstören, kann in Zeiten des Klimawandels nicht das erklärte wirkliche Ziel sein.“

Der Kiez sei jetzt schon am Limit, freie Schulplätze Mangelware, es fehle an Pflege- und Betreuungsplätzen und an Grünflächen zu Erholung. „Es gibt genügend Brachflächen oder leerstehende Gebäude, an dessen Stelle man bauen könnte. Und deshalb setzen wir ein Zeichen mit den Insektenhotels und Vogelhäuschen, die wir nachher in den Gärten aufhängen. Wer wird dann noch wagen, die Gärten abzureißen?“

Das jedenfalls wünschen sich die rund 70 Kinder und deren Eltern, Tanten und Großeltern, die ins Kastanienwäldchen gekommen waren, um die Insektenhotels und Vogelhäuschen zu bemalen. „Wir lieben Tiere, und vor jedem Lebewesen muss man Respekt haben“, sagt die elfjährige Melek. Und der fünfjährige Mikusch sagt: „Wir freuen uns, dass wir den Insekten ein schönes Hotel schenken. Sie freuen sich sicher ganz doll.“

Hintergrund: Die Gartengemeinschaft Pankower Allee e.V. existiert seit nunmehr 90 Jahren. Sie wurde 1932 für BVG-Mitarbeiter errichtet, die nach ihrer Dienstzeit dort ihren wohlverdienten Ruhestand genießen sollten.

86 Parzellen finden auf dem 23.066 Quadratmeter großen Gelände. Es ist wahrlich eine kleine grüne Oase in dem sonst so dicht bebauten Kiez. Und kaum jemand bemerkt dieses Kleinod, weil es von der Pankower Allee kaum einsehbar ist. Und doch: Hier blühen die Kirschbäume und die Osterglocken, hier hüpfen Eichhörnchen und fliegen Fledermäuse umher; Vögel finden Nahrung und Schlafplätze. „In meinem Kompost wohnen sogar Hirschkäfer“, freut sich eine Kleingärtnerin. Doch diese kleine „grüne Lunge“ ist in Gefahr, denn die Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU plant für den südlichen Teil eine Wohnbebauung, während die nördlichen Kleingartenflächen bestehen bleiben sollen. 22 Parzellen wären betroffen.

Doch bei der Gartengemeinschaft handelt es sich nicht um Kleingärten nach dem Bundeskleingartengesetz – Bestandsschutz hatten die Gärten nur bis 2017, danach wurden die Verträge jeweils auf ein Jahr befristet – und genau das ist nun das Pro­blem. Als die Laubenpieper die Hiobsbotschaft im September 2020 erhielten – mitten in der Coronazeit – fielen sie aus allen Wolken und wollten für den Erhalt ihrer Gärten kämpfen. In den vergangenen Jahren wurde bereits ein Kampf gegen die geplante Bebauung ausgefochten – mit einer Unterschriftenliste gegen den Wohnungsbau, auf der 3.000 Unterstützer unterzeichnet haben. Sogar eine Petition unter dem Titel „Stop! Kein Neubau auf Kosten unserer Kleingärtner! Stop!“ mit über 1.000 Unterschriften hat es gegeben. Die Gärten sollten eigentlich Ende 2022 weichen, nun wurde die Galgenfrist bis September 2024 verlängert.

Letztlich gab es eine vertragliche Vereinbarung für die Beräumung bis zum 30. September 2024. „Mit den Pächtern wurde die Beräumung sowie die hierfür zu erstattende Entschädigung vertraglich vereinbart“, erklärt Birte Jessen, Leiterin Unternehmenskommunikation und Marketing bei der GESOBAU. Für die Realisierung des Wohnungsneubaus mit rund 110 Wohneinheiten – davon 50 Prozent geförderter Wohnraum – sowie einer Kindertagesstätte und einem Quartierstreff weichen dann 22 Parzellen. Der Baubeginn sei nun für März 2025 geplant.

Doch auch wenn es nun feststeht – abfinden möchte sich niemand mit dieser Entscheidung. „Wir sind sehr traurig darüber, denn es geht ja um unsere Gärten“, sagt eine Pächterin. „Unsere Parzelle haben wir seit neun Jahren. Unsere Kinder sind dort aufgewachsen. Wir sind eine tolle Gemeinschaft, helfen einander, feiern Feste. Und wo sollen unsere Kinder spielen gehen? Der Kiez draußen ist zu gefährlich geworden.“

Auch Liselotte Kuhlmann, in den Gärten besser bekannt als „Mulle“, ist traurig: „Ich bin 90 Jahre alt und habe meinen Garten seit 55 Jahren“, sagt sie. „Ich habe viel Zeit in den Garten gesteckt, er ist mein zweites Zuhause. Und ich möchte ihn noch weitere Jahre behalten und hoffe darauf, dass die Wohnungen nicht gebaut werden.“ Möglicherweise werde das Bauen ja noch teurer, dass man von der Entscheidung wieder ablässt. Der Bau des Märkischen Zentrums liege schließlich auch auf Eis.

Zurück im Kastanienwäldchen: Nach rund eineinhalb Stunden haben die Kinder 120 Häuschen bunt und kreativ gestaltet – dann ging es gemeinsam in Richtung Gartengemeinschaft. „Wir freuen uns über diese besondere Aktion“, sagt der 1. Vorsitzende Matthias Voigt. „Vielleicht haben wir ja wirklich Glück und können das Ende unserer Parzellen doch noch abwenden.“ Die Kinder hängten dann trotz Nieselregen ihre Häuschen an Zäune, in Bäume und an Gartenhäuser. „Nun haben es die Insekten trocken und warm“, freut sich die achtjährige Talisa.

Diese Aktion gegen den Abriss der Gärten wird wohl nicht die letzte gewesen sein. „Mir fällt sicher noch etwas ein, was wir dem entgegensetzen können“, sagt Raeder. Und wer den engagierten Reinickendorfer kennt, weiß, dass er das ernst meint.

fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.