Die Einschläge kommen näher. Ein Blick durch ein leeres Schaufenster lässt nur vermuten, welches Schicksal sich dahinter verbirgt. Der Aushang eines Abschiedsbriefes gibt Klarheit. Wo einst Leute voller Visionen den Sprung in eine Selbständigkeit wagten, um ihre Leidenschaft zu leben, wird aus dem „IST“ ein „WAR“. „Ihr Urlaub war unsere Leidenschaft“, steht über der Weltkarte in der Reise-Land-Filiale in der Grußdorfstraße. Jessica Urbanski und Peter Strahl bedanken sich für das jahrelange Vertrauen. Eine Ladenschließung, die stellvertretend für viele andere Reisebüros steht, aber auch für zahlreiche andere Einzelhändler. Einige hundert Meter weiter in der Brunowstraße: Schneider Salik Akcil bedankt sich selbst bei den weniger netten Kunden für schöne und auch anstrengende elf Jahre. Die zu spät gezahlten Hilfsgelder nennt er als Grund für seine Schließung. „Es war immer ein Highlight zu sehen, wie Herr Akçil mit einem verschmitzten Grinsen die Kundschaft unterhielt und eher auf den Verkauf eines teuren Reisverschlusses verzichtete, wenn er eine günstigere Idee hatte“, berichtete eine langjährige Kundin. „Nun wird wahrscheinlich viel mehr weggeschmissen.“ Weggeschmissen fühlen sich viele Gewerbetreibende, denn die Politik schaut zu wie Tausende ihre Existenzen verlieren. Wieviel es sein werden, ist ungewiss. Ein trauriges Bild, große Sprüche, keine Hilfen – alles nur Hinhaltetaktik? Niemand, der nicht unmittelbar betroffen ist, kann das auch nur im Ansatz nachvollziehen. Es scheint, als ob die ,,Selbstständigen“ eine Minderheit ohne Lobby sind.
„Alle zwanzig Meter bleibe ich auf der Residenzstraße stehen und mache ein beängstigendes Foto von leeren Geschäften“, postet Kastanienwäldchen-Besitzer Norbert Raeder auf Facebook. „Viele haben Angst vor der dritten Welle – Leider steckt mein Geschäft seit dem 13. März 2020 noch immer in der ersten Welle und ist bis heute geschlossen. Elf Monate der reinste Horror! Einmal Resi immer Resi – Ein gelebtes motivierendes Motto, welches so langsam im Gedankennebel und im Wandel der Zeit verschwindet.“ Welche Maßnahmen und Möglichkeiten zur Absicherung seines eigenen Geschäfts ihm noch bleiben, weiß selbst der lebensfrohe Raeder nicht mehr.
Daniele Schütz-Diener