Es war weniger die zeitgenössische Kunstszene im West-Berlin der Sechziger und Siebziger Jahre, die die 1927 geborene Bildhauerin Susanne Riée inspirierte, als vielmehr das damalige Museum Dahlem; über die „Gefäße in den Vitrinen“ sagte sie: „Das waren eigentlich meine großen Lehrmeister.“
Unterrichten ließ sie sich vom Maler Max Pechstein und der 1886 geborenen Malerin Ima Breusing, für die es anfangs schwierig war, die Kunst zum Beruf zu machen, da in ihrer Jugend Frauen an den Akademien noch nicht offiziell zugelassen waren. Obwohl es Riée in der Hinsicht leichter hatte, stand auch sie anfangs im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Es war ihr zeitweiliger Partner und lebenslanger Freund Alexander Camaro, der vom Architekten Hans Scharoun den Auftrag für die Fenster aus bunten Glasbausteinen der Berliner Philharmonie bekam. Eine grobe Skizze reichte er an Riée weiter, die dann die Feinarbeit leistete. Später erklärte sie dem Tagesspiegel gegenüber: „Damals war das ganz üblich.“ Obwohl das „kleine rote Fenster“ in der Philharmonie sogar komplett ihre eigene Kreation ist, wurde sie namentlich damals nicht erwähnt.
Camaro, Jahrgang 1901, war eine höchst schillernde Figur in der Kunstwelt. Bereits im Alter von 16 Jahren zog er als Hochseilartist mit einem Wanderzirkus umher. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte er Malerei in seiner Geburtsstadt Breslau und ging 1928 nach Dresden, um sich dort zum Tänzer ausbilden zu lassen. Mit Erfolg trat er viele Jahre vor allem in Stücken des Modernen Tanzes auf. 1947 lernte der 46-jährige die 20-jährige Susanne Riée kennen, mit der er in der Konstanzer Straße zusammenlebte. 1951 erhielt er den Berliner Kunstpreis und wurde bald als Professor an die HdK berufen. Mitte der 1960er Jahre trennte sich das Paar, was der Karriere von Riée letztlich gut tat, wie sie zugab. Sie erhielt mehrere Aufträge für Kunst am Bau; die Keramik dafür ließ sie in Delft fertigen: „Holland war für mich die große Befreiung.“
Einen 60 Meter langen Fries schuf sie für die salopp als „Franzosenbad“ bezeichnete Schwimmhalle in der Cité Foch. Zu dem Werk passt ihr Ausspruch: „Ich wollte immer ein noch blaueres Blau malen. Blau gehörte damals zu mir.“ Für sie bedeutete es Ferne, Sehnsucht, Meer und Himmel. Dabei wollte sie besonders „dieses Flimmern im Licht“ des Wassers nachahmen. Die Schwimmhalle blieb nach Abzug der Alliierten noch einige Jahre in Betrieb, allerdings wollten weder der Bund noch das Land Kosten für deren Renovierung übernehmen. Als der Bau endgültig verschwinden sollte, schien das Schicksal des Kunstwerks ungewiss, doch die Camaro-Stiftung versicherte im Nachruf auf die Künstlerin 2020: „Die imponierende Arbeit war bei Abriss der Schwimmhalle gefährdet, konnte aber durch die engagierte Suche nach einem neuen Besitzer gerettet werden.“ Eine weiteres Werk von ihr an einer Kita-Hauswand in der Prager Straße in Wilmersdorf verschwand unterm Dämmschutz. Ihre persönliche Lieblingsskulptur von 1973/74 steht in Den Haag in der Deutschen Schule, von ihr „Fernseher“ genannt.
Im Alter stellte die Camaro-Stiftung Riée eine Erdgeschosswohnung im malerischen Hinterhof der Potsdamer Straße 98a zur Verfügung. Mit 93 verstarb sie in Berlin. Das Relief von ihr am Treppenturm des Finanzamts Reinickendorf aus dem Jahr 1974 strahlt noch immer farbenfroh über dem Eichborndamm.