„Ein kleiner Klaps hat noch keinem Kind geschadet!“ Unsere RAZ Autorin Inka Thaysen hat dieser Spruch richtig auf die Palme gebracht, als sie Zeugin eines entsprechenden Vorfalls wurde. Sie nahm Kontakt zu Arjan Koohgilani auf, der im Bezirk den Kinderschutz koordiniert. Von ihm musste sie erfahren, dass immer noch rund die Hälfte der Deutschen den „Klaps“ durchaus in Ordnung findet. Ihr Bericht:
2024 haben wir 75 Jahre Grundgesetz gefeiert: mit vielen Informationsformaten, Festivitäten und Dialogen zum Thema. Bei aller Freude gab es aber auch kritische Stimmen – nämlich zu der Tatsache, dass die Rechte unserer Kinder noch immer keine Aufnahme in die Verfassung gefunden haben. 2025 nun steht ein weiteres Jubiläum an: Am 2. November feiert das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung seinen 25. Geburtstag. Im Wortlaut heißt es hier: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
Soweit, so gut … oder so lala. Denn längst ist die Tragweite dieses Gesetzes offenbar noch immer nicht überall angekommen. So wurde ich neulich in den Hallen am Borsigturm Zeugin folgenden Geschehens: Ein kurzes Klatsch-Geräusch, ein Kindergesicht, das mit vorgeschobener Unterlippe die (mutmaßliche) Mutter anschaute, sich die Hand rieb und „aua“ und „och manno“ murmelte. Keine Frage, dass dem vielleicht Vierjährigen schon klar war, dass das, was ihm gerade geschehen war, nicht zum normalen zwischenmenschlichen Umgang gehört. Unterdessen schienen sich die Frau und ihre Begleiterin gar noch über die Reaktion lustig zu machen und äußerten, der Junge solle froh sein: Schließlich sei er ja noch nie richtig geschlagen worden. Was tun aber als Zeuge so einer Situation? In diesem Fall sprach ich die Frauen an, sagte, dass es falsch und überdies strafbar sei, Kinder jeglicher Gewalt auszusetzen. Und was war die Antwort? „Na, war doch nur ein Klaps!“, bevor man schimpfend (über mich) abdampfte. „Verschiedene Studien haben immer wieder gezeigt, dass ‚leichte‘ Bestrafungen bei vielen Menschen leider noch immer akzeptiert sind“, erklärt auch Arjan Koohgilani, Kinderschutzkoordinator im Jugendamt. 2023 bekamen er und seine Kollegen rund 1.500 Hinweise zu möglicher Kindeswohlgefährdung im Bezirk.
Kinderrechte im Mittelpunkt
Kinderschutzkoordinator Arjan Koohgilani zum Stand der Dinge
Jeden Tag nimmt das Reinickendorfer Jugendamt mehrere Hinweise zu möglichen Fällen von Kindeswohlgefährdung entgegen, sagt Arjan Koohgilani. Als Kinderschutzkoordinator ist er unter anderem für gute Schnittstellen zu anderen Behörden und Bildungseinrichtungen und die Qualitätssicherung im Kinderschutz verantwortlich.
Herr Koohgilani, Sie sagen auch, der „Klaps“ ist für viele noch ein probates Erziehungsmittel.
Studien zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland noch daran festhält, wobei man bei Frauen und Jüngeren ein allmähliches Umdenken sieht. Dabei ist ein Schlag – mit oder ohne blauen Fleck – immer eine Erniedrigung: um Macht wiederherzustellen, wenn Überforderung herrscht oder keine Verhaltensalternative gelernt wurde. Zwar gibt es keinen linearen Zusammenhang zwischen eigener Gewalterfahrung und späterer -ausübung; aber die Wahrscheinlichkeit ist doch deutlich erhöht.
Wie ist es generell um das Wohl der Kinder in Reinickendorf bestellt?
2023 hatten wir es mit rund 1.500 Meldungen zu tun, von 2018 bis zum letzten Jahr maßen wir einen Anstieg um 40 Prozent. Das liegt auch daran, dass in den vergangenen Jahren die Sensibilität gestiegen ist. Aber eben leider wohl nicht nur.
Weihnachten gilt als das Fest der Liebe und der Kinder. Gleichzeitig kommt es hier öfter zu familiären Konflikten. Macht sich das in Ihrer Arbeit bemerkbar?
Nicht allgemein, aber im Bereich Sorge- und Umgangsrecht schon, würde ich aus der Beobachtung heraus sagen. Das belastet die Kinder natürlich auch. Wir empfehlen ganz frühe und ganz klare Vereinbarungen der Eltern.
Was kann man tun, wenn man sich Sorgen um ein Kind macht?
Wir vom Jugendamt sind für alle Anliegen da. Wichtig zu wissen: Ein Kontakt kann auch anonym erfolgen. Wir gehen jedem einzelnen Fall dann nach und schauen, wie wir helfen können. Das kann von Beratungen über Erziehungshilfen bis zur Inobhutnahme und dem Einschalten des Familiengerichts reichen. Wenn man im Akutfall übrigens rohe Gewalt beobachtet, sollte man die Polizei verständigen.
… und im Fall des „kleinen Klapses“?
Solange man sich selbst nicht in Gefahr bringt, sollte man eine solche Situation durchaus gleich ansprechen, ohne zu emotional zu werden. Man sollte sensibilisieren und informieren, dass unser Gesetz auch den „Klaps“ nicht erlaubt und dass Gewalterfahrung oft langwierige negative Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung hat. Außerdem nehmen die betroffenen Kinder ja auch wahr, dass hier jemand Partei für sie ergreift.
Im Grundgesetz findet all das nach wie vor keine gesonderte Berücksichtigung.
Es gibt die Argumentation „Kinder sind wie andere Menschen“, so dass man für sie keine eigenen Paragraphen brauchte. Aber Kinder sind besonders gefährdet, ihre Rechte gehören in den Mittelpunkt der Gesellschaft und selbstverständlich ins Grundgesetz.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Inka Thaysen
Kontakte bei Sorgen
In Berlin gibt es mehrere Stellen, an die sich Menschen zum Thema Kinderschutz wenden können. Hier einige wichtige Kontakte:
>> Kinderschutz – Krisendienst in Reinickendorf
Tel. 90294-5555
Montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr ist der Krisendienst erreichbar und berät – auch anonym.
>> Kinderschutz – Koordination in Reinickendorf
Tel. 09294-6632
Arjan Koohgilani obliegt die Koordinierung und Förderung der Zusammenarbeit beim Thema Kinderschutz: unter anderem mit Fachkräften.
>> Berliner Krisendienst in Reinickendorf
Tel. 39063-50
Der Berliner Krisendienst hilft 24 Stunden am Tag bei psychosozialen Krisen bis hin zu akuten seelischen Notsituationen.
>> Hotline Kinderschutz
Tel. 6100-66
An die Rund-um-die-Uhr-Beratung können sich alle wenden, die sich Sorgen um ein Kind machen: ob wegen Vernachlässigung und/oder Misshandlung und Gewalt (seelisch, körperlich, sexualisiert).
Kinder in Krisensituationen erfahren Hilfe unter den Notdienst-Durchwahlen -61 (Kinder), -62 (Jugendliche) und -63 (Mädchen)
>> Polizei und Feuerwehr
Bei Gefahr für Leib und Leben den Notruf wählen: 110 (Polizei) oder 112 (Feuerwehr)