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Ein Mann in einer Halle mit großen technischen Geräten im Hintergrund
Netzbezirksleiter Uwe Kairys vor dem alten Netzknoten. Bild: as

Eine neue Steckdose für den Norden

Stromnetz Berlin baut bis 2031 einen neuen Netzknoten in Reinickendorf

Wittenau – Die Stromnetz Berlin GmbH gehört zu den unsichtbaren Dienstleistern. Meist unbemerkt kümmert sich das kommunale Unternehmen um das Verteilnetz in Berlin und baut es aus. Ein Beispiel für die Netzerweiterung ist ein geplanter neuer, größerer Netzknoten in der Holzhauser Straße. Beim ersten Spatenstich packte auch Marlon Baar an. Der Student ist der Projektleiter des 60-Millionen-Euro-Baus.

Strom kommt aus der Steckdose. Und davor kommt er aus dem Trafohaus, auch Umspannwerk genannt. Und wiederum davor kommt er aus dem Netzknoten. Ein solcher Knoten wird in den nächsten Jahren in der Holzhauser Straße erneuert. Bildlich gesprochen handelt es sich um eine Steckdose oder einen Verteilerkasten für den Berliner Norden. Der Netzpunkt verteilt den Strom für zehntausende Haushalte im Bezirk Reinickendorf.

Für den künftig leistungsstärkeren Knoten wird bis 2031 ein neues Gebäude errichtet. In dem mehrstöckigen Haus wird dann moderne Technik untergebracht sein. Parallel zum Bau läuft die alte Anlage aus den 1960er Jahren weiter und wird anschließend abgerissen. Am 19. Juni war der symbolische erste Spatenstich, im August sollen die Bagger kommen und eine vier Meter tiefe Baugrube ausheben.

Das 60-Millionen-Euro-Bauprojekt lenkt und leitet Marlon Baar. Er ist 23 Jahre jung und wird  erst in diesem Winter sein Masterstudium abschließen. Dennoch traut ihm die Stromnetz Berlin GmbH die verantwortungsvolle Position eines Projektleiters zu. „Die älteren Kollegen sind in anderen Projekte gebunden, deshalb habe ich die Chance bekommen“, erklärt der Student ruhig, als ob er einen alltäglichen Vorgang beschreiben würde. Marlon Baar ist nicht erst vor Kurzem bei der Stromnetz Berlin GmbH eingestiegen. Der Netzbetreiber hatte ihm vor ein paar Jahren ein duales Studium angeboten. So konnte Baar praktische Erfahrungen sammeln. Vor seinem Masterstudium hatte er in Sachsen seinen Bachelor in Engineering, Elektrotechnik und Elektrische Energietechnik abgelegt. Als Jahrgangsbester.

In gewisser Weise war auch der nunmehr alte Netzknoten zu seiner Zeit ein Ausnahmetalent. 1968 nahm die damalige BEWAG (Berliner Städtische Elektrizitätswerke Aktien-Gesellschaft) in der Holzhauser Straße die sogenannte Schaltanlage Wittenau in Betrieb. Das Besondere war, dass es die erste gasisolierte 110.000-Volt-Anlage in Berlin war. SF6 heißt das Gas. Chemiker erkennen in der Abkürzung sofort die Verbindung Schwefelhexafluorid. Das Gas dient als Isolator. Es verhindert sogenannte Lichtbögen, die entstehen, wenn Hochspannungsleitungen beim Schalten extrem schnell unterbrochen werden. Durch den Trick mit dem Isoliergas benötigen solche Netzknoten viel weniger Platz. Die Anlage in Reinickendorf war bei ihrem Bau 1968 ein Pionier dieser Technik. Denn die erste Anlage dieser Art kam in Deutschland 1965 auf den Markt. Die damals junge Technik hat sich nicht nur als raumsparend erwiesen, sondern auch als zuverlässig. Denn zum voraussichtlichen Betriebsende 2031 wird sie 63 Jahre lang Strom im Norden verteilt haben.

2031, also in sechs Jahren, wird Marlon Baar noch jünger als 30 Jahre alt sein. Er baut den neuen Knoten also nicht für die nächste Generation, sondern für seine eigene Zukunft. Die neue Anlage soll doppelt so viel leisten können wie die bisherige. Denn die Stromnetz Berlin GmbH arbeitet an einer Verdopplung der Netzkapazität für die Hauptstadt. Die Berliner Kabel sollen in zehn Jahren 4,1 Gigawatt durchleiten können statt heute 2,2 Gigawatt. Das doppelte Fassungsvolumen ist nötig für E-Mobilität, Wärmepumpen und Solarausbau. Eine Mammutaufgabe, sagt Dr. Erik Landeck, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stromnetz Berlin GmbH. „Wir werden bauen, bauen, bauen“, sagt er.

Für den Stromkunden muss diese Zwei-Milliarden-Euro schwere Bauinvestition nicht zwangsläufig zu überdurchschnittlich hohen Strompreisen führen. Denn aktuell ist das sogenannte Netzentgelt in Berlin vergleichsweise niedrig. Anders als in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo das Netzentgelt bereits heute – vor dem auch dort nötigen Ausbau – über dem bundesdeutschen Mittelwert liegt. 

Ob der Knoten, der voraussichtlich 2031 ans Netz geht, wie der alte ebenfalls über 60 Jahre seinen Dienst tun wird, kann heute niemand voraussehen. Sicher ist, dass er seinen Beitrag leisten wird, dass der Strom im Norden weiterhin wie selbstverständlich aus der Steckdose kommt.

Andrei Schnell