zwei Frauen vor einem ehemaligen öffentlichen Toilettenhäuschen
Cornelia Gerner (l.) und Sabine Ziegenrücker vor dem Café Achteck, einer ehemaligen Bedürfnisanstalt. Foto: bs

Eine Stehanstalt wird zur Sehanstalt

Hermsdorf – Das neueste Ausstellungsstück des Museums Reinickendorf steht auf der Grünfläche vor dem Gebäude und ist begehbar. Aber nicht mehr für Männer, die sich erleichtern wollen, wie es die frühere Aufgabe dieser öffentlichen Bedürfnisanstalt war, sondern als „Informationspavillon“ für das Museum, wie Direktorin Cornelia Gerner bei der feierlichen Eröffnung mit Blasmusik und Durchschneiden eines roten Bandes sagte.

Gleichzeitig war das eine ihrer letzten Amtshandlungen vor der Pensionierung nach mehr als 20 Jahren in der Leitung des Museums Reinickendorf. Ihre Nachfolgerin Sabine Ziegenrücker stand bei der kurzen Zeremonie im Publikum und klatschte Beifall zur Neueröffnung der ehemaligen „Stehanstalt“ in schinkel-grün. Im Volksmund hießen diese Institutionen aufgrund ihrer Form „Café Achteck“.

Gerner erinnert daran, dass es ehemals etwa 150 dieser Gebilde aus Gusseisen in Berlin gab, heute sind nur 30 davon übriggeblieben. Zwei davon stehen in Tegel und in Hermsdorf auf dem Fellbacher Platz. Das nunmehr vor dem Museum aufgestellte Exemplar war zuvor schon ein Exponat im ehemaligen Straßenmöbelmuseum im Innenhof des Tegel Centers. Dort hatten sich über die Jahre auch Hydranten, Pumpen, Laternen und Fragmente von Skulpturen zusammengefunden. Als diese charmante Sammlung langsam verfiel, griff das Museum Reinickendorf ein und rettete viele Ausstellungsstücke, die nunmehr im Garten des Museums zu sehen sind. In der Rede von Gerner wurde all den Helfern und Unterstützern gedankt, die eine Wiederbelebung des Café Achteck ermöglicht haben.

Eine besondere Rolle kam dabei dem Dorfschmied aus Heiligensee, Jupp Kaiser, zu. Ein stabiles Mannsbild mit zum Zopf gebundenen langen grauen Haaren. Er steht gelassen unter den Zuschauern und nimmt aus der Hand von Gerner die Flasche Wein und ein kleines Blumensträußchen als Dank entgegen. Ihm sind präzise Hammerschläge sofort zuzutrauen. Nicht ganz ohne Stolz erzählt er, dass es „keine Stehanstalt in Berlin mit einem schöneren Dach“ gebe. Es musste von ihm neu angefertigt werden. Auch die Lampen und viele andere Einzelteile sind unter seiner Hand wiedererstanden. Drei Jahre habe die Renovierung gedauert.

Nun soll an den Wänden im Inneren des Achtecks künftig für die Ausstellungen des Museums geworben werden. Es werden dort auch Broschüren, Hefte und andere Informationsmaterialien ausliegen. Allerdings hat das Häuschen Türen bekommen, die nachts abgeschlossen werden. So ganz scheint man der Einsicht der Hermsdorfer nicht zu trauen, dass sich der Charakter dieses Cafés gründlich geändert hat.

Zwei Damen sagen beim Heimgang nach der Veranstaltung, sie hätten die frühere Bedürfnisanstalt lieber hinter dem Museumszaun im abgeschlossenen Garten gesehen. Eine sagt unumwunden: „Wohin sollen denn Suchende gehen? Weit und breit keine öffentliche Toilette.“ Bleibt nur zu hoffen, dass diese ehemalige Stehanstalt die Wandlung zur Sehanstalt vollkommen schafft. bs

Wenn Sie mehr über das Wirken von Cornelia Gerner als Museumsdirektorin erfahren wollen, hören Sie sich den aktuellen RAZ Podcast auf www.raz-zeitung.de/podcast an. Dort erzählt Gerner, was sie alles seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 im kulturellen Reinickendorf erlebt hat.

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.