Claudia Wasow-Kania (l.) und Dr. Sabine Ziegenrücker vor dem ehemaligen Schweinestall, der heute ein Museum ist. Foto: fle

Eines der größten NS-Zwangsarbeiterlager Berlins

Führungen, Industriespaziergang und Frühlingsfest am Historischen Ort Krumpuhler Weg in Tegel-Süd

Tegel – Eine Ruine, die früher einmal die Entlausungsbaracke gewesen ist. Ein Gebäude, das früher einmal ein Schweinestall war, und ein Haus, in dem zu viele Menschen gleichzeitig aßen, schliefen und lebten. Diese wenigen Gebäude, die Wege und noch einige andere Bauwerke und Dinge – sie alle sind stille Mahnmale für das, was hier, mitten in Tegel-Süd, vor acht Jahrzehnten geschehen ist. 

Ich bin auf dem Gelände Billerbecker Weg 123 A am Krumpuhler Weg mit Dr. Sabine Ziegenrücker, Leiterin des Fachbereichs Kunst und Geschichte, und Kunsthistorikerin Claudia Wasow-Kania vom Fachbereich Kunst und Geschichte im Museum Reinickendorf, verabredet. Die beiden Frauen wollen mich über das große Gelände führen, das heute eine schön gestaltete gärtnerische Anlage ist. Und es stimmt: Hier befindet sich heute die Gartenarbeitsschule. 

Doch hinter dieser Idyllischen Kulisse mit seinen bunten Blumen, Beeten und hellgrün sprießenden Bäumen verbirgt sich ein dunkler Teil der deutschen Geschichte. Auf dem großen Gelände befand sich nämlich von 1942 bis 1945 ein NS-Zwangsarbeiterlager. Das Lager zählte mit bis zu 1.500 Insassen zu den größten Lagern Berlins. In Berlin und Umgebung gab es zu der Zeit etwa 3.000 Zwangsarbeiterlager, davon allein 140 in Reinickendorf. Im Jahr 1944 betrug die Zahl der Zwangsarbeiter in Berlin rund 400.000 und in Reinickendorf über 30.000. Betrieben wurde das Lager von den am Eisenhammerweg gelegenen Rüstungsfirmen Altmärkische Kettenwerke „Alkett“ und der Rheinmetall-Borsigs Maschinen- und Gerätebau GmbH „Maget“ – beide Tochterfirmen von Borsig. 

Im Gemeinschaftslager Krumpuhler Weg waren so genannte Ostarbeiter untergebracht – unter anderem Russen, Ukrainer und Weißrussen. 1943 kamen noch Franzosen und italienische Militärinternierte hinzu, die die als Soldaten eingezogenen deutschen Arbeitskräfte ersetzen mussten. „Die Zwangsarbeiter wurden nicht alle gleichbehandelt, sondern gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie“, sagt Dr. Sabine Ziegenrücker. So seien die Lebensbedingungen der „Ostarbeiter“ von Diskriminierung, Isolation, schlechter Unterbringung sowie unzureichender Kleidung und Ernährung gekennzeichnet gewesen. Auch Frauen lebten im Lager und in der Zeit wurden dort sogar 23 Kinder geboren, von denen vier die harten Bedingungen nicht überlebt haben.  

Insgesamt umfasste das Lager 38 Gebäude aus Holz und Stein. In den Baracken war es eng, im Sommer heiß und im Winter sehr kalt. Die so genannte Reichsarbeitsdienstbaracke galt als Standardtyp der Holzbauten, denn sie war schnell aufzubauen und zu erweitern. Zudem gab es Unterbringungs- und Toilettengebäude, Wirtschaftsgebäude, eine Küche mit Speisesaal, Werkstätten, die Entlausungsbaracke zur Desinfektion der Kleidung, eine Sanitätsbaracke, Schuppen, Ställe und eine Bürobaracke. 

„Davon ist heute nicht mehr viel übrig“, erklärt Dr. Sabine Ziegenrücker. Sie zeigt auf ein unscheinbares rundes kleines Bauwerk am Eingang: „Dieser Ein-Mann-Bunker ist gut erhalten“, sagt sie. „Nur der Wächter des Lagers sollte sich hier mit den Papieren zurückziehen, während die Insassen bei Bombenalarm die Splittergräben aufsuchen sollten, die auf dem Gelände verteilt waren.“ 

Im gut erhaltenen Gebäude des ehemaligen Schweinestalls befindet sich heute das kleine Museum. Hier finden sich auch viele bei Ausgrabungen gefundene Gegenstände: Die mit Nummern versehenen Töpfe und Kannen sind längst verrostet und verbeult. „Aus ihnen haben die Zwangsarbeiter getrunken und gegessen.“ 

Um die Erinnerungen wach zu halten, haben die Künstlerinnen Roswitha Baumeister und Anita Meier unter dem Motto „Denkwerk“ zehn künstlerisch-thematisch gestaltete Gedenkbänke und ein Portal aufgestellt. „Jede der Bank ziert ein anderes Bild und ein individueller Text“, erklärt Claudia Wasow-Kania.

Führung am 17. April

Es gibt auch wieder Führungen über das Gelände, unter anderem am 17. April eine Fortbildung für Lehrkräfte ab Klassenstufe 8. Start ist am Eingang Billerbecker Weg 123A.

Industriespazierung am 28. April und Frühlingsfest am 4. Mai

Am 28. April findet ein Industriespaziergang mit Björn Berghausen statt, der um 10 Uhr am Borsigtor startet. Und im Rahmen des Frühlingsfestes am 4. Mai wird es zwischen 12 und 17.30 Uhr auf dem Gelände verschiedene Führungen und Gesprächsstationen mit Imke Küster und Claudia Wasow-Kania geben. Die Teilnahme ist kostenfrei, um Anmeldung wird unter kontakt@reinickendorf.museum.berlin.de oder Tel. 90204 64 60 gebeten. Weitere Informationen und Termine unter www.museum-reinickendorf.de oder Tel. 90204 64 60.

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.