RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Bernd Hildebrandt feierte im Februar seinen 85. Geburtstag. Geboren wurde er in Königsberg, 1950 kam er nach Berlin. Foto: bod

Fossiles Elchskelett als Publikumsmagnet

Zum 85. Geburtstag des Heimatforschers Bernd Hildebrandt

Bernd Hildebrandt, der heute in Borsigwalde lebt, ist ein ausgewiesener Experte für Zeitreisen: Als Autor historischer Bücher und ehemaliger Leiter des Heimatmuseums Tiergarten brachte er durch spannende Ausflüge in die Vergangenheit Interessierten die Geschichte der Region näher.

Am weitesten zurück, sogar einige tausende Jahre, führen die Spuren eines fossilen Elchskeletts, das sich dabei als besonderer Publikumsmagnet für das Museum erwies. Die Knochen waren 1956 beim Bau des U-Bahnhofs Hansaplatz gefunden und später sorgsam zusammengesetzt worden. Dank guter Beziehungen zum Museum für Vor- und Frühgeschichte, das sich damals noch in Dahlem befand, wurde Hildebrandt das Exponat für eine Präsentation im Heimatmuseum in der Turmstraße „leihweise verehrt“ – also deutlich näher an seinem Fundort. Es wurde zur aktiven Beteiligung aufgefordert, was die Fantasie beflügelte – so trug beispielsweise eine Frau mit gestrickten Elchen zur Ausstellung bei, in der sich Historisches mit künstlerischen Inspirationen mischte; eine Idee, die vom Publikum dankbar angenommen wurde.

Im Februar 2025 feierte Bernd Hildebrandt seinen 85. Geburtstag. Zum Berliner wurde er allerdings erst vor 75 Jahren. 1950 verschlug es den in Königsberg Geborenen in Folge des Krieges in die zerbombte Hauptstadt. Zunächst kam die Familie in Lichterfelde unter, da die Eltern dort ein geerbtes Haus mit großem Garten besaßen. Für den damals Zehnjährigen war es eine aufregende Zeit und noch heute erinnert er sich an „Straßenbahnfahrten in die Stadt“. Doch für Spaß und Spiel war auch ganz in der Nähe gesorgt, denn auf einem Grundstück nebenan gab es eine etwas in die Jahre gekommene asphaltierte Rollschuhbahn.

Vor allem klassische Musik hatte es ihm angetan

Aber auch das Interesse an Kultur war bei Hildebrandt schon früh stark ausgeprägt. Mit Begeisterung engagierte er sich beim „Theater der Schulen“, das durch günstige Eintrittskarten Jugendliche zu Konzert- und Theaterbesuchen anregen wollte. Seine Aufgabe bestand darin, die Bestellungen entgegenzunehmen, die Karten abzuholen und sie anschließend zu verteilen. Vor allem von klassischer Musik war Hildebrandt angetan – einen bleibenden Eindruck hinterließ der Violinist Yehudi Menuhin, der nicht nur als Musiker bedeutend war. Der jüdische in New York geborene Geiger hatte durch seine Auftritte in Deutschland kurz nach dem Krieg ein Zeichen der Aussöhnung gesetzt und sich immer wieder für Menschenrechte und Völkerverständigung engagiert.

Mit seiner eigenen kleinen Familie verschlug es Hildebrandt schließlich in den Berliner Norden, Dort erlebte er ein faszinierendes Stück der Geschichte Reinickendorfs hautnah mit: Im Märkischen Viertel, das gerade aus dem Boden gestampft wurde, ergatterten er und seine Frau Rosemarie eine Atelierwohnung im 14. Stock mit Dachterrasse und einem traumhaften Blick auf die grüne Umgebung. Allerdings waren die Lebensbedingungen für die ersten Bewohner alles andere als ideal: „Es gab noch keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Ärzte und die Bürgersteige waren noch nicht befestigt. Das hat wohl mit zu der schlechten Presse beigetragen, die das Märkische Viertel in den Anfangsjahren bekam.“ Die Fahrstühle waren häufig außer Betrieb und die Briefkästen wurden bisweilen aufgebrochen. Für seinen Sohn, der gerne auf den Abenteuerspielplatz ging, war der oftmals raue Umgang der Kinder untereinander zuweilen beängstigend. In einer Mutter-Kind-Gruppe begegnete seine Rosemarie Hildebrandt sogar Ulrike Meinhof, die ebenfalls in dem Neubauviertel lebte und damals schon gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse agitierte, bevor sie als RAF-Terroristin in den Untergrund ging.

Ein Foto aus dem Frohnau-Buch – Foto: Hildebrandt

Zu der Zeit, als Hildebrandt eine Ausbildung zum Ausstellungsdesigner absolviert hatte, war der Begriff von der „dezentralen Kulturarbeit“ gerade in Mode. Ihm wurde ein Projekt in Frohnau vorgeschlagen, für das ein Seniorenclub in Gemeinschaftsarbeit eine Ausstellung vorbereiten sollte. „Ich hatte keine Ahnung von Frohnau“, gesteht er. Doch genau darin sieht er einen großen Vorteil, weil er aufmerksamer zuhören musste, um den Ortsteil aus der sehr persönlichen Perspektive seiner Bewohner kennenzulernen.

Bei einem Frühlingsfest im Centre Bagatelle sollte er um Teilnehmer für das Projekt werben. Dass er dabei auch das ein oder andere Tänzchen wagte, erwies sich wohl als hilfreich, denn „im Nu“ meldeten sich über 20 Interessierte. Ein echter Fürst war ebenfalls bei der Feier zugegen, der als Mitglied der Familie von Donnersmarck als Ehrengast eingeladen war, die Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts das Grundstück für den Bau der Gartenstadt zur Verfügung gestellt hatte.

Die Aktion war so erfolgreich, dass wenige Jahre später eine zweite Ausstellung auf die Beine gestellt wurde. Im Anschluss daran entstand ein Buch, das 1985 erschien: „Gartenstadt Frohnau – Frohnauer Bürger erforschen ihren Ortsteil von der Gründung bis heute“.

Zu den Zeitzeugen, die auf Hildebrandt im Laufe seiner Recherchen besonders starken Eindruck gemacht hatten, gehört Bischof Kurt Scharf, dem er in der Johanniskirche begegnete. Im Dritten Reich hatte Scharf die Pfarrstelle für Sachsenhausen und Friedrichsthal bei Oranienburg inne. Als Mitglied der Bekennenden Kirche stellte er sich früh gegen die Deutschen Christen, die mit dem NS-Regime sympathisierten. In der Nachkriegszeit erteilte ihm die DDR trotz seines Engagements für die Aussöhnung von Kommunismus und Christentum nach dem Mauerbau Einreiseverbot und nahm ihm seinen ostdeutschen Pass ab. Dadurch wurde Scharf gewissermaßen zum „West-Berliner Bischof“. Hildebrandt war fasziniert von der Freundlichkeit des Mannes und seiner spürbarer „Menschenliebe“. Der Geistliche starb 1990 im Alter von 87 Jahren.

An der VHS Reinickendorf bot Hildebrandt den Kurs „Bürger erforschen ihren Ortsteil“ an. Diese Initiative wurde im Zuge der Feierlichkeiten zur Berliner 750-Jahr-Feier angestoßen. Die Wochenzeitung „Nord-Berliner“ erwies sich bei der Öffentlichkeitsarbeit als hilfreich. Zeitzeugen trugen wertvolle Informationen zur Erkundung der Geschichte Wittenaus bei. Ein besonders engagierter Mitstreiter war Klaus Schlickeiser, ein Jurist, und passionierter Heimatforscher, der sich eingehend mit den einzelnen Gebäuden um die Dorfaue beschäftigte. Hildebrandt würdigt seine akribische Arbeit: „Haus für Haus hat er die Baugeschichte erforscht, indem er alte Akten wälzte.“ Zu den historischen Persönlichkeiten Wittenaus gehörte der Maler Max Grunwald, der in der NS-Zeit den Mut aufbrachte, Gottesdienste der Bekennenden Kirche in seinem Haus stattfinden zu lassen. Doch nicht nur ernsthafte Themen, sondern auch Kurioses wie der Ziegendiebstahl im Pfarrhaus fanden Eingang in die Chronik. Der Vorfall animierte Spötter zu dem Reim: „Der liebe Gott ist überall, nur nicht bei Pfarrer Weise im Zickenstall.“ Auch einem Nachfahren des Namensgebers des Ortes, Horst Witte, begegnete Hildebrandt bei der Recherche für sein Buch.

Die Kugelläuferin am westlichen Rand des Zeltinger Platzes. Foto: bod

Zwei Porzellanfabriken nebeneinander

Während Hildebrandt das Heimatmuseum Tiergarten leitete, bot sich ihm die außergewöhnliche Gelegenheit, vor Ort etwas Archäologie zu betreiben – als an der Spree zwischen der Moabiter Brücke und der Bolle-Meierei gebaut wurde, war ihm sofort klar: „Die Chance kommt nie wieder.“ Denn an dieser Stelle standen einst zwei Porzellanfabriken nebeneinander. Die „Manufactur von F. Adolph Schumann“ stellte bezahlbares, oft üppig verziertes, Geschirr für den bürgerlichen Geschmack her – deren Stempel glich nicht rein zufällig dem der Edelmarke KPM. Daneben befand sich die Firma Schomburg, die auf Elektrokeramik spezialisiert war. Ein Taucherclub unterstütze die Aktion mit zwei Freiwilligen. Tatsächlich fanden sich in dem Areal zahlreiche Scherben verschiedenster Qualität.

Rosemarie Hildebrand

Zeitzeugen erzählte bereitwillig

Aufgrund der Bezirksfusion wurde das Heimatmuseum Tiergarten 2004 geschlossen und mit denen von Mitte und Wedding in der Pankstraße zum Mitte Museum zusammengelegt. Auf die Frage, welches Exponat Hildebrandt dort besonders vermisst, fällt ihm sofort der Flugzeugmotor eines Kampfflieger aus dem Zweien Weltkrieg ein. Die viermotorige Maschine „Flying Fortress“ verlor im Flug über Berlin ein Triebwerk. Das Fundstück wurde restauriert und in Moabit ausgestellt, befindet sich inzwischen jedoch im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Gatow.

Viel Unterstützung erfuhr Hildebrandt auch von seiner Frau, die sich künstlerisch bei der Gestaltung einiger Ausstellungen einbringen konnte. Mit ihrer freundlich Art gelang es ihr, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen, bei der sich Zeitzeugen bereitwillig öffneten: „Die Leute sprachen so offen mit uns, weil wir sie ernst nahmen. Es war oft bewegend, was man für Schicksale kennengelernt hat.“ Im vergangenen Jahr war die Malerin als eine von zehn Kunstschaffenden mit vier Werken an der Ausstellung „Nah und fern“ im Rathaus Reinickendorf beteiligt. Das Paar lebt inzwischen in Borsigwalde in einem Doppelhaus, dahinter ein Grundstück mit viel Grün: „Wir sind beide Gartenfans, meine Frau und ich.“ Im Norden der Stadt fühlen sie sich nach wie vor zu Hause.

Das Buch „Abschied von der Laube“, das Bernd Hildebrandt und Klaus Schlickeiser verfassten, beschäftigt sich mit dem Bau des Märkischen Viertels und der Schrebergartenkolonie, die dafür weichen musste. Durch die Wohnungsknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg waren dort viele Lauben zur Notunterkunft für die Menschen geworden. Da dieser Zustand zur Dauereinrichtung zu werden drohte, sollten die „grünen Slums“ endlich verschwinden, um Platz für eine Neubausiedlung zu schaffen, die damals die erste dieser Größe in West-Berlin war. Auch dem letzten Bewohner, der partout nicht ausziehen wollte, selbst nachdem Wasser und Strom abgestellt wurden, begegnete Hildebrandt noch. Auf dem Gelände des Märkischen Viertels befanden sich auch Felder umliegender Gärtnereien. 17.000 Wohnungen für rund 50.000 Bewohner sollten entstehen. Mehr als 35 internationale Architekten planten mit am Mammutprojekt. 1964 zogen die ersten Mieter ein und zehn Jahr später wurde das letzte Hochhaus fertiggestellt.

Boris Dammer