Autos an einer Straße, im Hintergrund ein Wagen des ADAC.
Nichts ging mehr an einem Freitagmorgen bei zahlreichen Autos in Hermsdorf. Foto: fle

„Großer Schwachsinn“

„Reifenlöscher“ ließen in Hermsdorf Luft aus Autoreifen

Hermsdorf – Am Morgen des 1. März fanden zahlreiche Autobesitzer ihre Fahrzeuge mit platten Reifen vor. Rund 30 Autos wurden in Hermsdorf laut Polizei von Unbekannten fahruntauglich gemacht. Der erste Anruf ging um kurz nach 2 Uhr ein. 

Ein Bekennerschreiben klemmte hinter der Windschutzscheibe: „Achtung – Ihr Spritfresser ist tödlich. Wir haben bei einem oder mehreren Reifen die Luft abgelassen. Sie werden wütend sein, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto.“ Absender sind „The Tyre Extinguishers“ – zu deutsch „die Reifenlöscher“. Die Gruppe, die ihren Ursprung in Großbritannien hat, ist seit 2022 in vielen deutschen Städten unterwegs und lässt Luft aus den Reifen von SUVs und Geländewagen, die für sie „eine Katastrophe für unser Klima darstellen und die zweitgrößte Ursache für den weltweiten Anstieg der Kohlendioxidemissionen in den letzten zehn Jahren darstellen.“ 

Die ersten Aktionen unter dem Namen der „Tyre Extinguishers“ gab es im März 2022 in Großbritannien, andere Länder folgten. Im vergangenen Jahr waren bei der Berliner Polizei rund 1.100 Strafanzeigen wegen platter Reifen eingegangen, bis Januar 2024 insgesamt 1.337. Da es sich um politisch motivierte Taten handelt, ermittelt der Staatsschutz. 

Auch in Reinickendorf schlugen die Klimaextremisten schon einmal zu: Im September 2023 gingen sie durch die Straßen von Waidmannslust, Wittenau und Lübars und ließen Dampf ab – aus den Reifen von Geländewagen. Bei allen Aktionen waren Autos der Hersteller Mercedes, BMW, VW, Volvo, Audi und Ford am meisten betroffen. 

SUV sind beliebt – fast jeder zweite Neuwagen auf der Welt ist einer. Und allein 2023 wurden in Deutschland 855.700 SUV neu zugelassen. Diese wuchtigen Fahrzeuge haben einen höheren Energieverbrauch – das gilt auch für mit Strom betriebene Autos. Aus diesem Grund machen die Klimaextremisten auch vor Elektro-Modellen nicht Halt. Weltweit stießen die 330 Millionen SUV 2022 fast eine Milliarde Tonnen CO2 aus – also noch einiges mehr als der gesamte CO2-Ausstoß in Deutschland (rund 750 Millionen Tonnen).   

„Die Aktion kann ich nicht verstehen und auch nicht gutheißen“, sagt Anne Matschos, eine betroffene Hermsdorferin, wütend. „Zumal es bei uns im Kiez nicht nur die SUVs getroffen hat, sondern alle möglichen Autos.“ „Diese Aktion ist großer Schwachsinn und zudem noch gefährlich. Familien werden aufgehalten, Menschen können nicht ins Krankenhaus oder zum Arzt gebracht werden. Und auch diejenigen, die nicht gut zu Fuß sind, sind aufgeschmissen.“ Übrigens: Das Luftablassen aus mehr als einem Reifen ist Sachbeschädigung – auch wenn Ventile und Mantel heil bleiben. 

Der ADAC war allein in Hermsdorf mehrere Stunden im Einsatz. „Auch das ist so ärgerlich, da er dadurch nicht zu Unfällen oder anderen Einsätzen fahren kann“, sagt sie. Die Website der Reifenlöscher ist derzeit lahmgelegt – vielleicht ein gutes Zeichen, dass die Aktionen nun aufhören.

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.